Page 30 - Volksdorfer Zeitung VZ 37 Mai 2019
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 Eine große Familie
mit Haustieren
Ein zukunftsweisendes Projekt aus Volksdorf
am Vormittag. Wenn alle Be- wohner morgens um halb elf im Kreis sitzen, um sportlich aktiv zu sein, macht auch Wellensit- tich Angela mit: Alle heben das rechte Bein – sogar der Vogel in seinem Käfig. Außerdem tra- gen die Feste dazu bei, dass das Familiengefühl wächst und ge- stärkt wird. Oft stehen die Ver- anstaltungen – in Anlehnung an bekannte Fernsehsendungen – unter einem Motto: „Dschungel Camp“, „Der Preis ist heiß“ oder „Bauer sucht Frau“. Dabei hel- fen Angehörige und Mitarbei- ter, aufwendige Dekorationen und passende Kostüme zu ferti- gen. Den Bewohnern gefällt es. Genauso anregend ist es für sie, in den Bewohnerurlaub an die Ostsee zu fahren oder an Aus- flügen teilzunehmen.
Wie in einer Wohngemeinschaft
Man könnte glauben, hier le- ben 28 Senioren in einer gro- ßen Wohngemeinschaft. Doch es sind Menschen mit einem hohen Grad an Pflegebedürf- tigkeit, die an Demenz oder psychischen Erkrankungen lei- den. Als Iwona Erm vor 14 Jah- ren in dem Haus anfing, hat- te sie die Chance, ein anderes Modell von Pflege umzusetzen. Es gibt zahlreiche kleine Ge-
7 Der Ratgeber „Umsorgt woh- nen“ bietet eine hervor-ragende Orientierungshilfe. 155 Häuser, ambulante Pflegedienste, Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen werden mit Preisen und Leis- tungen ausführlich vorgestellt. Außerdem wird die Pflegever-
Wenn Zwergschnauzer Mona und Kaninchen Henry einträchtig nebeneinander im Körbchen sitzen,
ist Iwona Erm zufrieden. UMSORGT WOHNEN
schichten und Begebenheiten, die zeigen, dass Iwona Erm auf das richtige Konzept setzt. Mit- unter gibt es erhebliche Proble- me damit, dass sich die Bewoh- ner mit Händen und Füßen ge- gen die Grundpflege wehren. „Eine Dame wurde kurz nach ihrem Einzug bei uns richtig ungnädig, wenn wir ihr beim Waschen und Anziehen behilf- lich sein wollten. Diese Frau hat niemanden an sich herangelas- sen“, erzählt Pflegedienstleite- rin Erm. Das Team hat im Laufe der Jahre jedoch etliche Tricks und Kniffe entwickelt. In die- sem Fall brachte der Hund die Lösung. „Am Anfang saß Mona einfach nur auf dem Schoß die- ser Dame“, erinnert sich Erm. „Die Frau hat ihn gestreichelt und nur geschimpft. Wir haben kein Wort verstanden. Doch dann wurde sie ruhiger und wir konnten mit der Grundpfle- ge beginnen. Heute reicht es, wenn der Hund mit in ihrem Zimmer ist. Das Tier vermittelt ihr Sicherheit.“
So geht Geborgenheit
Einen ähnlich positiven Effekt haben die Haustiere bei Schlag- anfallpatienten. Dazu wird das Kaninchen auf den gelähm- ten Arm gesetzt. Die Menschen bekommen durch diesen klei- nen therapeutischen Kunstgriff wieder eine Wahrnehmung für die gelähmte Körperseite.
Zurück zu der Dame, die gleich nach dem Rundgang ge- blieben ist. Vier Wochen nach dem Einzug wollte die Tochter ihre Mutter abholen und mit ihr in ein Café gehen. Eine Ab- wechslung vom Heimalltag. Doch am Gartentor blieb die Mutter stehen und sagte: „Kaf- fee und Kuchen? Dafür brau- chen wir nicht wegzufahren. Das bekommen wir hier auch alles.“ So geht Geborgenheit.
sicherung anschaulich erklärt. „Umsorgt wohnen in und um Hamburg“ hat 528 Seiten, kostet 19,90 Euro und ist im Buchhandel erhältlich. Bestellung online unter www.umsorgt-wohnen.de oder telefonisch: 040 / 600 898 40 (keine Versandkosten).
VON JOCHEN MERTENS
„Das Zusammenleben
mit Tieren bewirkt bis- weilen kleine Wunder“, berich- tet Pflegedienstleiterin Iwona Erm aus ihrem Alltag im Haus Volksdorf. Etwa die Hälfte der Bewohner hatte schon mal ei- nen Hund. Die Menschen re- agieren ausgesprochen posi- tiv auf Zwergschnauzer Mona, Hauskatze Lilly, Wellensittich Angela sowie die beiden Kanin- chen Joshi und Henry.
In dem Haus mit 28 Bewoh- nern verlieren sich die Ängs- te vor einer Pflegeeinrichtung schnell, wenn die Tiere auftau- chen. Neulich wollte sich eine Tochter gemeinsam mit ihrer Mutter das Domizil ansehen. Die Unsicherheit war beiden anzumerken. Als Katze Lilly bei dem Gespräch um die Beine der Tochter herumschlich und ge- streichelt werden wollte, ent- spannte sich die Situation und sie fing an zu erzählen: von der Krankheit der Mutter, über die Verzweiflung in den vergange- nen Wochen, von Streitigkei- ten in der Familie wegen der Pflege und der Isolation, in die man als pflegender Angehöri- ger schnell gerät. Währenddes- sen hatte Altenpflegerin Beata Salostowitz der an Demenz er- krankten Mutter das Haus ge- zeigt – begleitet von der 6-jäh-
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rigen Hündin Mona. Schwester Beata hatte sofort einen Draht zu der Dame. Am Ende des Rundgangs meinte die Interes- sentin nur: „Weißt du was? Ich bleibe hier.“ Ein vollkommen entspannter Übergang aus der vertrauten Häuslichkeit in eine stationäre Pflegeeinrichtung.
Ein vollkommen entspannter Übergang aus der vertrauten Häuslichkeit in
eine stationäre Pflegeeinrichtung.
„Wir leben hier wie in einer großen Familie – ganz gleich, ob Bewohner, Angehörige oder Mitarbeiter“, erläutert Iwo- na Erm den Alltag. Die Bewoh- ner können morgens ausschla- fen. Entsprechend ihrer Biogra- fie gestalten sie – auch mit Hil- fe der Mitarbeiter – ihren Alltag selbstständig. Das gemeinsame Frühstück und die Gymnastik gehören zu den festen Ritualen
Jochen Mertens · thoMas Wendt · 11. AuflAge
in und um Hamburg Altenheime, Seniorenwohnungen und Betreuung zu Hause










































































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