Page 7 - Volksdorfer Zeitung VZ 31 September 2018
P. 7

UNSER BUCHTIPP
„Elly“
Preisgekröntes Romandebüt der Berliner Autorin Maike Wetzel
  Für ihr Romandebüt
„Elly“ wurde die 1974 ge- borene Autorin zahlreicher Er- zählungen und Drehbücher Maike Wetzel aus Berlin be- reits mit dem Robert-Gern- hardt Preis und dem Martha- Saalfeld-Preis geehrt.
Elly ist ein elfjähriges Mäd- chen, das auf dem Weg zum Ju- dotraining verloren geht, nur ihr Fahrrad wird gefunden, von dem Mädchen fehlt jede Spur. Ihre Eltern und die zwei Jah- re ältere Schwester Ines müs- sen mit der Ungewissheit wei- ter leben. „Meine Schwester ist tot. Ich traue mich kaum, das zu denken, weil ich weiß, dass mein Glaube genügt, um sie umzubringen. Elly hat nur noch uns. Unser Glauben hält sie am Leben.“ Jedes Familien- mitglied leidet auf seine Wei- se unter dem Verlust, die Mut- ter Judith betäubt sich durch Psychopharmaka, der Vater Hamid stürzt sich in die Ar- beit, betreibt umfangreiche Re- cherchen, beauftragt Detektive und organisiert Aktionsbünd- nisse, die pubertierende Ines schwankt zwischen Gefühlen der Abgeklärtheit, der Wut und der Sehnsucht. Dadurch dass abwechselnd aus den Perspek- tiven der drei Zurückgebliebe- nen in der ersten Person erzählt
wird, kommt man den Gedan- ken und Gefühlen der Famili- enmitglieder sehr nah, sie krei- sen permanent um Elly. Den Alptraum der Ohnmacht be- schreibt Maike Wetzel einfühl- sam und schonungslos. Kurze, schnelle Sätze formen die Syn- tax der Sprach- und Fassungs- losigkeit. Die Familie ist ver- sehrt wie nach einer Amputati- on und doch hofft man, dass al- les wird wie früher, als sie noch ein Ganzes war.
Dann taucht auf einmal das vermisste Kind wieder auf - nach vier Jahren des Warten und Bangens - und ist kein Kind mehr, sondern eine traumati- sierte Jugendliche, deren gan- zes Erscheinen und Verhalten befremdend sind. "Als Elly zu- rückkehrte, dachten meine El- tern und ich, wir hätten das Schlimmste hinter uns. Heute weiß ich: Folter ist ein unend- lich zu multiplizierender Be- griff."
Maike Wetzels kraftvoller Er- zählstil erinnert an Judith Her- mann („Alice“), die auch kein Wort zu viel schreibt, sondern mit ungewöhnlichen Sprach- bildern Stimmungen schafft, die das Unbewusste, Unaus- sprechliche und Unerhörte aus- drücken. Der Roman ist keine leichte Kost, doch wer psycho-
logische Themen mag und vor den Abgründen der mensch- lichen Seele nicht zurück schreckt, wird ihn gebannt le- sen und dabei Gänsehaut ver- spüren. Vladimir Nabokov sag- te angeblich einmal, dass man gute Literatur genau daran er- kenne, dass es einem kalt den Rücken runterlaufe.
7 „Elly“ von Maike Wetzel, erschienen im Schöffling Verlag, Gebunden, 152 Seiten, 20 €. ISBN: 978-3895612862.
  Buchhandlung I.v.Behr
Im Alten Dorfe 31 Montag bis Freitag 9:00 bis 18:30 Uhr, Samstag: 9:00 bis 14:00 Uhr Telefon: 040-603 12 86 E-Mail: info@buecher-behr.com
 September 2018
Volksdorfer Zeitung 7




















































































   5   6   7   8   9