Page 30 - Volksdorfer Zeitung VZ 42 Dezember 2019
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Schülerinnen und Schüler mit vorgezogenen Jungpflanzen für den Pflanzenmarkt.
LERNEN GANZ ANDERS
„Raus aus der Schule – Rein ins Leben“
Eine erfolgreiche Kooperation zwischen Stadtteilschule Walddörfer und der Naturschule „Wilde Zeiten“
VON SUSANNE SCHWARZ
Dienstag ist mein Lieblingsarbeits-
tag ...! Morgens beginnt mein Un- terricht mit dem Profilkurs „Zukunft“, der Klasse Jahrgang 8, auf dem Gelände der Naturschule an der Schemmannstraße und endet nachmittags dort mit dem Profilkurs „Zukunft“, der Klasse Jahrgang 9. Ein gan- zer Tag „Raus aus der Schule – Rein ins Le- ben!“ - auch für mich!
Ich gehe jedes Mal zufrieden nach Hause und bin sicher, dass meine Schüler behalten werden, was sie heute gelernt und erfahren haben. Das ist grundsätzlich mein Ziel als Lehrerin, so soll es sein, aber nicht immer gelingt es mir im normalen Unterricht.
Erwähnenswert ist, dass die Schüler da- rüber hinaus „Etwas“ mit nach Hause neh- men: Tomaten, Möhren, Topinambur, Man- gold, Schwarzkohl - je nach Jahreszeit. Et- was, in das sie seit Wochen und Monaten viel Arbeit hineingesteckt haben – ein Lern- ertrag zum Anfassen. Etwas, das sich für die Schüler sonst, zu oft, nur in Form von Zensuren ausdrückt. Und hier nun „Etwas“, das die ganze Familie beim nächsten ge- meinsamen Essen genießen kann und wor- über sich am Essenstisch spannende Dis- kussionen entwickeln können. „Was bedeu- tet für mich saisonale Ernährung?“ „Woher kommen die Erdbeeren im November?“ – wichtige Fragen, die sich spätestens über die Erfahrungen beim eigenen Anbau ergeben.
Unsere erste Ernte im Frühjahr besteht aus Radieschen, Salat und Kohlrabi, später reifen Mangold, Wurzeln, Erbsen, Erdbee- ren, wieder Salat und nach den Sommer- ferien ist alles üppig vorhanden: Tomaten in allen Farben und Formen, Paprika, Zwie- beln, Knoblauch und schließlich endet das Jahr mit Rosenkohl, Schwarzkohl, Topi- nambur und Andenbeeren aus dem Folien- tunnel. Das ist eine neue Erfahrung, denn im Supermarkt bekomme ich alles rund um das Jahr! Aber eben auch nicht alles. Denn wer kennt überhaupt noch Topinambur oder Schwarzkohl? Da kennt man schon eher die Exoten aus fernen Ländern wie, Okraschoten, Kochbananen und Zitronen- gras. Aber Lebensmittel aus der Region, in diesem Fall sogar von den Schülern selber angebaut, gelten als klimaneutral, sie ver- ursachen keine CO2-Emissionen durch lan- ge Transportwege. Und das Wiederentde- cken „alter“ Sorten sorgt für größere Arten- vielfalt!
„Durch Erleben lernen“
Der Unterricht beginnt grundsätzlich mit ei- nem „Outfitwechsel“ der Schüler: Arbeits- hosen, Arbeitshandschuhe und Gummistie- fel scheinen aus ihnen „neue“ Menschen zu machen, sie bewegen sich anders, sie grei- fen beherzter zu, haben keine Berührungs- ängste, scheinen stärker zu werden!
Dann wird die Arbeit verteilt, wer ver- sorgt die Hühner, Schweine und Schafe,
wer kümmert sich um die Hochbeete, be- ginnen wir heute mit der Planung des Beer- engartens, werden die Zäune vom Schwei- negehege ausgebessert oder müssen wir bereits mit der Aussaat der 10.000 Gemü- sepflanzen für unseren Auftrag von der „GemüseAckerdemie“ beginnen?
Unsere Schüler planen die Projekte selbstbewusst und kreativ mit, sie überneh- men eigenverantwortlich Aufgaben und meistern diese. Wer fachlichen Rat benö- tigt, der holt sich diesen. Und los geht´s! Wer eine Vorstellung davon hat, wie lange es dauern kann, bis Schüler ihre Deutsch-, Bio- oder Englischbücher, sowie Schreib- heft und Federtasche bereit zum Arbeiten vor sich liegen haben, wundert sich, wie schnell die Schüler hier ihre Gartengeräte und Werkzeuge schultern und zielsicher ih- ren Arbeitsbereich aufsuchen. Jeder weiß, was es zu tun gibt und packt mit an.
Mein Privileg: ich kann mich zuord- nen: gehe ich in die Pflanzengruppe, hel- fe ich bei der Beringung der Hühner, soll ich bei der theoretischen Planung des So- lartrockners mitmachen, wo werde ich am meisten gebraucht ...? Oder auch: welche Schüler machen mir Sorgen, wo gibt es ne- ben der heutigen Arbeit noch Gesprächsbe- darf, ...? Viele Möglichkeiten für mich, pä- dagogisch mit Schülern in Kontakt zu tre- ten – Chancen und Möglichkeiten, die ich ansonsten in dieser Form nur wenig habe! Denn, beim Zupfen von Beikräutern er-
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