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Die verblüffende Wandlung des Heinrich Müller
Text und Interview: Maximilian Marti
Wie die meisten Schweizer kenne ich sein Gesicht vom Schweizer Fernsehen, wo er jahrzehntelang die Tagesschau moderierte. Seine eher klassische Art sich zu kleiden und seine zurückhaltende Art, wie er uns als Moderator das aktuelle Zeitgeschehen vermittelte, prägten wohl nicht nur in mei- nem Unterbewusstsein das Bild eines analysierenden, liebenswerten Kopfmen- schen. In dieser Schublade sass Heinrich Müller lange Zeit fest.
Natürlich wussten diejenigen, die die Ge- sellschaftspresse lesen, dass der vielseitig interessierte Mann mit Doktortitel für Rechtswissenschaft seit seiner Kindheit eine dauerhafte Liebesbeziehung mit der Musik unterhält, vor seiner TV-Arbeit auch schon für Zeitungen arbeitete, viele Jahre in Westafrika lebte und in Nigeria als Dozent an der Universität Maiduguri Staats- und Ver- fassungsrecht lehrte. Doch die Musik hat er in all diesen Zeiten nicht vergessen.
2007 kehrte Heinrich Müller nach 27 Jahren TV-Arbeit dem Fernsehen den Rücken, um mit 61 noch einmal durchzustarten und sich ganz seiner Musik zu widmen. Ein Neustart, den er noch während der Tagesschau-Zeit vorbereitet hatte und dabei von manchen, die davon wussten, belächelt wurde.
Es wurde ein Erfolg. Die 40 Lieder, die er seither geschrieben hat, wurden auf bisher fünf Alben veröffentlicht und liessen all jene verstummen, die ihm diesen Erfolg nie zuge- traut haben.
Als ich hörte, dass die CD-Taufe seines neuen Albums «As long as I can sing» im Nordportal Baden stattfindet, fuhr ich hin und erlebte einen Abend, den ich ungern verpasst hätte. Heinrich Müllers Auftritt hat mich verblüfft und begeistert. Zur Hochform auflaufend zog er zusammen mit seiner grossartigen Band das Publikum in seinen Bann und baute die mitreissende Stimmung auf bis zur Standing Ovation. Und so etwas hatte er bisher für sich behalten! Um meine Bildungslücke zu füllen fragte ich ihn:
Sie haben also all diese Jahre ein Doppelleben geführt als Moderator
und Musiker?
Heinrich Müller: Nein, das Bedürfnis zu sin- gen rückte erst wieder in den Vordergrund als ich spürte, dass meine langjährige Tätig- keit beim Fernsehen zu routiniert geworden war. Während 40 Jahren hatte ich die Musik in mir fast vergessen, obschon sie schon immer in meinem Blut gewesen war. Als kleiner Bub spielte ich Geige, was nicht so recht zu meinen rockigen Ambitionen passte. Im Radio hörte ich anfänglich von Vico Torriani, dass Kalkutta am Ganges liegt und Paris an der Seine (lacht), aber schon bald faszinierte mich die Musik aus den USA.
Wie kamen Sie nach 40 Jahren beruf- licher Karriere zurück zur Musik und zu diesem überraschenden Neuanfang? Nach den vielen Jahren beim Fernsehen hatte ich einfach Lust, mein Leben neu aus- zurichten. Ich ging über die Bücher und fragte mich: Was kannst Du? Was passt zu Dir? Was ist in diesem Alter noch möglich? Ich erinnerte mich, wie ich als Kind gerne sang und Gitarre spielte, wie mich damals Elvis, Presley, Harry Belafonte, Rocco Gra- nata, Johnny Haliday und viele andere inspi- rierten.So setzte ich als älterer Mann wieder auf Musik und habe mich damit selber ein bisschen überrascht.
Warum wurden Sie nicht schon
damals Musiker?
Die Voraussetzungen waren wohl da, doch andere Wege waren eben auch verlockend und ich bin glücklich, dass ich sie gegangen bin. Aber nie habe ich das Glücksgefühl ver- gessen, als ich mit dem Segen meiner Eltern von der Geige umsteigen durfte auf mein Wunschinstrument und mit 12 meine erste Gitarre in der Hand hielt, mit Stahlsaiten. Bald folgten erste Auftritte vor Publikum, die Gründung einer Band namens «Candle Five», ein Gospelchor, erste Presseberichte, Engagements etc. Das hätte der Beginn ei- ner Karriere sein können. Aber wie gesagt, andere Wege ...
Als ich mich vor 10 Jahren dazu entschloss, die Musik doch noch einmal in mein Leben einzulassen ging es Schlag auf Schlag. Ich schrieb fast wie im Fieber meine allerersten Lieder für das Album «Footsteps» (2004). In nur dreieinhalb Tagen haben wir die CD in Nashville eingespielt, eigentlich viel zu kurz. Ich war damals mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden, aber jetzt, beim neusten Album «As long as I can sing» spüre ich, dass ich als Musiker und Sänger irgendwie ange- kommen bin.
www.heinrichmueller.ch
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