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FIESE ORANGENHAUT
Kulinarische Beleidigungen gehören offenbar zum guten Ton. Ständig wird in die verbale Obst- und Gemüsekiste gegriffen, wenn es darum geht, gegen andere zu feuern oder uns selbst fertigzumachen. Ziemlich unfair, findet unsere Autorin Lena Schindler – und stellt sich schützend vors Lebensmittelregal.
TEXT Lena Schindler ILLUSTRATION Peter Gehrman
LENA SCHINDLER
richtet sich am Schreibtisch im Herbst eine Art private Saunalandschaft ein – mit Infrarot-Wärmedecke, Omas Wollsocken und viel frischem Ingwertee. So ausgestattet schreibt sie für Magazine und ist als Ghostwriterin für große Buchverlage tätig. Dieses Jahr ist ihr erstes Kinderbuch erschienen: „Heia – Abenteuer im Schaumland“ (Bohem).
Wie sie so daliegen, erinnern sie mich an den letz- ten Urlaub am Mittelmeer, an Sonne, an Brunch mit Freunden, wenn sie in Form von frisch gepresstem Saft in den Gläsern landen, kurz: an lauter gute Dinge. Ich liebe Orangen! Niemals könnte ich einfach so an ihnen vorbeige- hen. Wann immer ich welche entdecke, packe ich die aller- schönsten in meinen Einkaufskorb und freue mich. Aber es regt sich noch etwas anderes in mir – mein mütterlicher Beschützerinstinkt. Weil ich es unerhört finde, mit welcher Selbstverständlichkeit diese unschuldigen Früchte denun- ziert werden. Denn allzu gern vergleichen wir sie mit etwas, das wir an uns nicht mögen. „Orangenhaut“ ist längst zum Synonym geworden für die ungeliebten kleinen Dellen, die meist am Po, um die Hüften und an den Oberschenkeln auf- treten und die wir mit allen Mitteln bekämpfen, als handelte es sich bei Cellulite um eine gefährliche Krankheit. Auffal- lend oft werden Vergleiche mit Obst und Gemüse gemacht, um Menschen anzugreifen, die aufgrund ihres Körpers nicht der Norm entsprechen. Bodyshaming nennt man das. Dass diesen negativen Blick niemand verdient hat, er verletzend ist und sowieso keinem so ein Urteil zusteht, sollte klar sein. Aber wenn sie eine Wahl hätten, würden auch die Lebensmit- tel ganz sicher nicht dafür herhalten wollen.
Dass Zitrusfrüchte nicht die einzigen essbaren Dinge sind, mit denen wir uns und andere runterputzen, macht die Sache nicht besser. „Dumm wie Knäckebrot“ oder „hohle Nuss“ sind inzwischen fest im Wortschatz verankert. Warum wird ausgerechnet das, was Genuss bedeutet und uns glücklich macht, als Beleidigung benutzt? Mit Begriffen aus anderen Bereichen wie dem Haushalt oder dem öffentlichen Nahver- kehr teilt doch auch niemand aus. „Du dumpfer Asphalt“,
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