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(Wer ist normal ..., Fortsetzung von S. 5)
sich damit zufrieden und ging auf ihre besonderen Be- dürfnisse ein.
Sam erinnert sich noch lebhaft, wie er eines Tages end- lich begriff, dass seine Freundin tatsächlich höchst selt- sam war. Sie spielten bei ihr zu Hause, als plötzlich ihre Mutter hereinkam und lebhaft die Lippen bewegte. Wie durch einen Zauber nahm das Mädchen das Puppenhaus und stellte es an einen anderen Platz. Sam war völlig per- plex und ging nach Hause, um sich bei seiner Mutter zu erkundigen, was für ein Leiden das Mädchen von drüben eigentlich genau habe. Seine Mutter erklärte, sie sei ›hö- rend‹ und könne deswegen nicht ›gebärden‹; stattdes- sen würden sie und ihre Mutter ›sprechen‹, ihre Münder bewegen und so kommunizieren. Daraufhin fragte Sam, ob das Mädchen und seine Familie die einzigen seien, die ›so‹ seien. Seine Mutter erklärte, dass im Gegenteil fast alle Menschen so seien wie die Nachbarn und seine Fa- milie die Ausnahme. Er erinnert sich, wie er bei sich dach- te, was für ein merkwürdiges Mädchen die Nachbarin sei, und wenn das ›hörend‹ bedeutete, wie seltsam doch Hörende waren.
nach: Padden, C./ Humphries, T. (1991): Gehörlose. Eine Kultur bringt sich zur Sprache. Signum Verlag: Hamburg, 21 – 22)
Gemeinsamer Unterricht: auch für unser Kind möglich?
Eltern sein bedeutet Freude, aber immer auch eine enorme Herausforderung und Verantwortung. Eltern eines behinderten Kindes zu sein umfasst noch mehr. Oftmals sind besonderes Engagement, Eigeninitiative, Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen nötig, um für das Kind die gewünschte Unterstützung zu be- kommen und damit es dabei so normal wie möglich aufwachsen kann. Eltern wollen das Beste für ihr Kind und sie möchten mitbestimmen: die Art der Therapi- en, den geeigneten Kindergarten oder die Wahl der Schule.
Die Entscheidung »Welche Schule ist die beste für mein Kind?« ist für die Eltern häufig sehr schwierig, begleitet von zahlreichen Abwägungen und von Widerständen. Viele wünschen, das Kind möge trotz Beeinträchtigung so wie die Geschwister oder die Kinder aus der Nach- barschaft aufwachsen. Das spricht für den gemeinsa- men Unterricht in der nahegelegenen Grundschule. Ganz selbstverständlich lernen und leben hier alle Kin- der zusammen. Sie haben den gleichen Schulweg und Freundschaften können geknüpft werden, die über den Schulvormittag hinaus Bestand haben. Die Grundschul- lehrerin arbeitet hier mit einer Lehrerin der Förderschu- le zusammen, sodass eine individuelle Förderung aller Kinder möglich ist – egal, ob mit oder ohne Beeinträch- tigung.
Aber ist sie das wirklich? Manche Eltern haben Zweifel, wünschen sich Normalität und können sich einen sol- chen Unterricht nicht recht vorstellen. Sind die Klassen für den gemeinsamen Unterricht nicht viel zu groß? Werden die Bedürfnisse und Möglichkeiten meines Kin- des wirklich wahrgenommen oder wird es untergehen? Und wie reagieren die nichtbehinderten Kinder? Ist die Gefahr nicht groß, dass mein Kind hier eher zum Außen- seiter wird? Sind die Bedingungen einer spezifischen Förderschule – kleinere Lerngruppen, speziell ausgebil- dete Lehrer, Therapiemöglichkeiten vor Ort und niedri- gere Lernanforderungen – nicht vorteilhafter?
Eltern können eine größere Sicherheit bei der Entschei- dung für eine geeignete Schule bzw. für den gemeinsa- men Unterricht bekommen, wenn sie folgende Schritte bedenken:
1. Frühzeitig (vor der Einschulung) Kontakte zu anderen betroffenen Eltern knüpfen, um gemein-
same Interessen auszuloten und Strategien zu planen.
2. In unterschiedlichen Schulen (in Förderschulen und im GU) hospitieren und dort mit Lehrerin-
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nen/Lehrern und betroffenen Eltern sprechen.
Zeichnung: Manfred von Papen Foto: Anne Höfer


































































































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