Page 214 - DiVin092017
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Kolumne
Ich erinnere mich noch an die guten alten Zeiten. Wenn man einen Wein aussuchen wollte, ging man in einen Weinhandel und fachsimpelte ein wenig mit dem Verkäufer, probierte das ein oder andere, um dann zufrieden mit einigen Flaschen nach Hause zu gehen. Überwiegend waren die
Weinläden ab mittags geöffnet, da die Inhaber morgens oftmals ihrem Hauptberuf nachgingen. Vorzugsweise Lehrer. Auch hatte der Weinhandel in den Städten gewisse Ähnlichkeit mit dem Taxige- werbe. Viele gescheiterte Akademiker, die Ihre Studentenzeit in Italien oder Spani-
en verbracht hatten, eröffneten einen Weinhandel und zeig- ten dort Ihre individuelle Stärke. Ans Internet
und an die Online- Bestellung war zu diesen Zeiten noch gar nicht
zu denken. Auch wäre es ein Fre- vel gewesen, sich etwas so Wunder- bares wie Wein online zu bestellen.
Im Ein-
zelhandel
und Discoun-
ter gab es
die, na sagen
wir mal einfa-
chen Weine, meis-
tens in Zwei-Liter
-Flaschen oder im Te-
tra Pack. An besondere
Weinabteilungen war nicht
zu denken. Und es wäre für den
erklärten Weinfachmann eine Todsün-
de gewesen, sich dort mit Wein einzudecken.
Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. Die meisten Weinläden haben einen eigenen Shop im Netz, Winzer haben auf ihrer Webseite eine Direkt- vermarktung und sind nicht mehr auf Handelsver- treter angewiesen und Einzelhandel und Discounter haben neben großen und durchaus top ausgestatte- ten Weinabteilungen ebenfalls einen Online-Shops.
Nun aber das, was mich nicht nur verwun- dert, sondern absolut irritiert : Neben diesen on- line-shops erscheinen zunehmend reine „Wein- seiten“ im Netz. Viele kommen und viele gehen. Aber eins bleibt immer gleich, man kleckert nicht, man klotzt : Es werden über Venture Capi-
tal, Crowdfounding und sonstige Finanzierungen Unsummen in diese Online-Plattformen gepumpt. Haben diese Investoren zu viel Geld? Lieben sie den Wein und möchten ihm Gutes tun? Ich glaube eigentlich nicht. Aber wie will man aus dem Stand mit einem Online Shop nur durch Weinverkauf ein Investment von 25 Millionen und mehr amortisieren? Wenn man sich die aktuellen Zahlen ansieht, ist das kaum möglich. Der Durchschnittspreis des Weines, der in Deutschland getrunken wird, liegt unter 3,00 Euro, der Verbrauch pro Kopf der Be- völkerung steigt nur minimal und die alteingesessenen Unterneh- men schlafen auch nicht. Es kann sich also nur um einen großen Verdrän- gungswettbewerb oder eine beson- dere Möglichkeit, an viele Infor- mationen über Verbraucher heranzukom- men, han- deln. Das, was heu- te ja jedes Unterneh- men möchte: Daten, Da- ten, Daten. Für mich persönlich än- dert sich nichts. Ich kaufe mei- ne Weine wie frü- her im Weinladen oder beim Winzer. Ab und zu auch im Einzel- handel und Discounter. Und die Shops von dem einen oder anderen Altvorderen des Weinhan- dels nutze ich auch. Auch wenn diese langsam von Bord gehen. So wie einer meiner Favoriten, der an ng, in dem er mit seinem VW-Bus nach Frank- reich fuhr, um Wein einzukaufen und ihn dann zu Hause direkt aus dem Auto zu verkaufen. Dahin- ter stecken Leidenschaft, Geschichte und viele Emotionen. Und nicht Venture Capital von Unter- nehmen, für die der Verkauf von Wein nur Mittel zum Zweck ist. Aber der Zweck heiligt ja bekannt- lich die Mittel. Oder vielleicht doch nicht ??????
Die Reblaus
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