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Deutsche Marine
wir müssen dort, wo es nötig ist, mit der Zeit gehen – unsere Identität weiterent- wickeln.
Aus diesem „müssen“ ist in der Deut- schen Marine längst ein „werden“ ge- worden. Im Spätsommer 2018 hat der In- spekteur der Marine den Startschuss für das Projekt „Wir sind Marine“ gegeben. Ziel dieses in den deutschen Streitkräf- ten bislang einzigartigen Projekts ist es, die Identität der Marine objektiv zu erfas- sen, fundiert zu bewerten, insbesondere mit Zielen, Zeit und Zukunft abzugleichen und – soweit erforderlich – zu modernisie- ren. Hierdurch soll die Identität der Marine gestärkt, die Attraktivität des Dienstes in der Marine erhöht und die Arbeitszufrie- denheit der Männer und Frauen der Ma- rine (die Formulierung schließt das Zivil- personal ein) verbessert werden. Und das scheint auch dringend geboten zu sein, würde doch nur jeder Zweite in der Mari- ne seinem besten Freund oder seiner bes- ten Freundin empfehlen, dort zu arbeiten. Der Begriff „Marine“ in der Projektmarke kennzeichnet dabei nicht nur die Orga- nisation, sondern ist zugleich als Adjek- tiv zu verstehen, das es im Projektverlauf mit Inhalt zu füllen galt: Was bedeutet es eigentlich, „marine“ zu sein?
Projektkonzept und -methodik
Konzeptionell basiert „Wir sind Marine!“ auf zwei Säulen: Einer Fragebogen-Maß- nahme auf freiwilliger Basis sowie einer an die Fragebogen-Maßnahme anknüpfen- den Serie von Workshops mit repräsenta- tiven Teilnehmergruppen von jeweils ca. 20 Personen (Teilnahme ebenfalls frei- willig). Der Fragebogen wurde auf der Grundlage abgesicherter Forschungser- gebnisse aus der (Organisations-)Psycho- logie, der Soziologie, der Management-/ Führungsforschung sowie der Neurobio- logie individuell für die Deutsche Marine entwickelt. Er umfasst einen strukturier- ten Teil sowie einen intuitiv-assoziativ an- gelegten Freitext-Teil, in dem persönliche Aussagen zu wesentlichen Bestimmungs- faktoren von Identität und Berufszufrie- denheit getroffen werden konnten. In den Workshops ging es darum, das Bild, das sich aus den Fragebögen ergab, mit den Teilnehmern zu diskutieren, zu klären, ob bzw. inwieweit sie sich in diesem Bild wie- derfinden, ggf. fehlende Aspekte zu er- gänzen sowie alles aufzunehmen, was der Marine über die Schwerpunkte des Frage- bogens hinaus am Herzen liegt.
Deckspersonal bei der Arbeit
Ein Oberstabsgefreiter des EGV Bonn entfernt Meersalz von einer Kupplung
Gemeinsam mit den Männern und Frau- en der Marine wollten wir also charak- terisieren, „wer wir sind“ und ein Bild entwickeln, „wer wir sein sollten“; eine Vorstellung, was eine moderne Marine ausmacht – welche motivierende Visi- on sie leiten sollte, auf welchen spezifi- schen Werten sie gründen sollte, über welche Fähigkeiten ihre Soldaten verfü- gen müssten, welche Form des Mitein- anders zielführend wäre usw. Und natür- lich galt es, herausfinden was der Mari- ne vielleicht fehlt, um diesem Idealbild zu entsprechen.
Offene Antworten und ein klares Bild
Die Marine hat gefragt – und die Män- ner und Frauen der Marine haben ge- antwortet. Mit großer Offenheit, hohem Engagement und Vertrauen und in aller
Deutlichkeit. Und mit sehr hoher Über- einstimmung. Anfang November 2019 wurde der Abschlussbericht für die ers- te Projektphase übergeben. Er basiert auf der wissenschaftlichen Auswertung von rund 1.700 zurückgelaufenen Frage- bögen und Workshops mit rund 500 Teil- nehmern. Die Einschätzungen in den Fra- gebögen und die Diskussionen in den Workshops vermitteln ein klares und rea- listisches Bild der Marine – ihrer positiven und negativen Eigenschaften. Sie legen den Finger in die Wunde – verstanden im Sinn dieses Bilds als sehr hohe Evidenz- stärke. Zugleich weisen sie auf eine Rei- he von Irrtümern (i.S.v. Selbsttäuschung) hin, die in der Marine verbreitet anzutref- fen sind. Allen voran die „Überzeugung“, dass die Materialsituation, die Personal- lage und die – vermeintlich – überbor- dende Bürokratie ursächlich für die der- zeitige Situation der Marine wären. Den
Leinen los! 7-8/2020 9