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Geschichte
auch die Sicherheitseinrichtungen des Schaufelraddampfers in geradezu sträf- licher Weise vernachlässigt hätte. So war die Besatzung nicht für Notfälle ausgebil- det worden. Schlimmer noch: Die Was- serschläuche waren so verrottet, dass sie platzten, sobald sie unter Druck standen, weshalb alle Löschversuche scheiterten. Überdies wurden die elementarsten Notfallregeln missachtet: William Henry van Schaick, der Kapitän des Dampfers, wurde erst nach zehn Minuten von dem Brand unterrichtet. Da die General slo- cum zu diesem Zeitpunkt gerade den auch als „Hell Gate“ bekannten, aufgrund von gefährlichen Strudeln navigatorisch besonders schwierigen Teil des East River an der Mündung des Harlem River durch- fuhr, konnte der Schaufelraddampfer nicht einfach Kurs auf das naheliegende Ufer nehmen. Daher befahl van Schaick, mit
Ende eines Ausflugsdampfers: das Schiff sinkt im East River
voller Fahrt geradeaus zu steuern, um „Hell Gate“ so schnell wie möglich hinter sich zu lassen und dann Kurs auf die etwa eine Meile entfernt liegende Insel North Brother Island zu nehmen. Näher gele- gene Anlegestellen schieden nach Ansicht des Kapitäns aus, da sich in deren unmit- telbarer Nähe große Öltanklager befan- den. Er hielt die Gefahr für zu groß, dass diese ebenfalls in Brand gerieten, was unweigerlich eine gewaltige Feuersbrunst mitten in New York zur Folge gehabt hätte. Unterdessen breitete sich der Brand immer weiter aus und griff nun auch auf den Schiffsrumpf und die Aufbauten über, deren ausgetrocknetes, von dicken Schichten Ölfarbe bedecktes Holz aus
Opfer der Schiffskatastrophe werden geborgen
einem zunächst begrenzten Feuer endgül- tig ein flammendes Inferno machte, das durch den vom Fahrtwind des mit Höchst- geschwindigkeit durch das Wasser pflü- genden Dampfers zusätzlich verstärkten Gegenwind noch weiter angefacht wurde. In kürzester Zeit standen alle drei Decks in Flammen und unter den Passagieren, die sich am Heck des Schiffes zusam- mendrängten, brach Panik aus. Doch nun zeigte sich, dass auch die Rettungs- mittel an Bord unbrauchbar waren. Die Korkfüllung der Schwimmwesten hatte sich aufgelöst und diese dadurch voll- kommen nutzlos gemacht, während die Rettungsboote größtenteils durch Draht gesichert sowie infolge des schlampigen Farbanstrichs mit dem Schiffsrumpf ver- klebt waren und daher nicht bewegt wer- den konnten. Ohnehin wäre nicht möglich gewesen, die Boote zu Wasser zu lassen, da sie angesichts der hohen Geschwin-
Die Überreste der General SlocUm
digkeit der General slocum einfach umge- schlagen wären.
Der Brand wütete weiter. Schließlich setzte van Schaick den in Flammen stehenden Schaufelraddampfer vor North Brother Island auf Grund. Mittlerweile brannte die General slocum fast auf ganzer Länge. Das sichere Land vor Augen, sprangen viele Passagiere ins Wasser, doch da sie größ- tenteils Nichtschwimmer waren, ertranken die meisten. Inzwischen hatten die zahl- reichen Schiffe im stark befahrenen East River Boote abgesetzt, die sich an der Ret- tung der Passagiere und Besatzungsmit- glieder der General slocum beteiligten. Kurz nach dem Auflaufen stand das ganze Schiff in Flammen. Seit der Entdeckung des Feuers waren ganze 20 Minuten ver- gangen. Gut anderthalb Stunden blieb die General slocum vor North Brother Island liegen, dann schwamm das ausgebrannte und dadurch leichter gewordene Wrack wieder auf und trieb rund 1,6 km in östli- cher Richtung, bis es schließlich bei Hunts Point am Ufer der Bronx sank.
Dieses Plakat erinnert an einige der Opfer der Katastrophe
Der Brand an Bord der General slocum kos- tete 1021 der rund 1400 Personen an Bord das Leben. Die heute weithin vergessene Katastrophe ist nach wie vor das größte zivile Schiffsunglück in der Geschichte der USA. Für die deutsche Gemeinschaft in New York war der Verlust so vieler Men- schen vernichtend. Die Katastrophe der General slocum gilt als die wichtigste Ursa- che für die Auflösung von „Kleindeutsch- land“ in den folgenden Jahren. 7
Zitat
„(...) Ein großes Schiff ganz in Flammen, die im Sonnenlicht nach vorn loderten, in Sichtweite der überfüllten Stadt, während Hunderte hilflos, schreiend, lebendig verbrannten oder in den Wellen verschlungen wurden – Frauen und Kinder mit brennenden Haaren und Kleidern; verzweifelte Mütter, die ihre Babys über Bord warfen oder mit ihnen in den sicheren Tod sprangen; (...) alte Männer, die, auf den Boden geworfen, zertrampelt oder ins Wasser gedrängt wurden (...)”
Zeitgenössischer Bericht in The Chicago Tribune
36 Leinen los! 3/2025


































































































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