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MARITIME SICHERHEITSPOLITIK
Über die Arktis ins Baltikum China schließt Infrastrukturlücke im Ostseeraum
Josie-Marie Perkuhn*
Die Regierung Chinas hält den Kurs des aktiven globalen Engagements und steuert neue Häfen an. Geopolitik, Technologievorsprung und internationale Kooperation lauten
die Stichworte. Die zunehmend spannungsreicheren chine- sisch-europäischen Beziehungen stellen Europa vor neue Her- ausforderungen. China ist sowohl ein potenzieller wirtschaftli- cher Wettbewerber, unverzichtbarer Partner in globalen Her- ausforderungen, wie z.B. Klimaschutz oder der Bekämpfung der grassierenden Covid-19-Pandemie, als auch ein Systemri- vale. Gerade die zunehmende chinesische Präsenz in den bal- tischen Nachbarländern sollte stärker in den Fokus der deut- schen Debatte treten, da im Ostseeraum das vielfältige Spek- trum der chinesischen Außenpolitik zusammenläuft. Warum ist der Ostseeraum von strategischer Bedeutung für China? Die „Neue Seidenstraßen-Initiative“ dockt in Europa an: Mit der aktuellen Politik verfolgt China eine „umfassende“ außen- politische Agenda, basierend auf einer zentralistischen Planung verschiedener Teilsektoren infrastruktureller, wirtschaftlicher und militärischer Dimension. Während China mit der nördlichen Arktisroute, auch Polar-Seidenstraße, einen strategischen wie lukrativen Seeweg nach Europa erschließt, legen chinesische Baufirmen Bahnstrecken durch Nord-, Mittel- und Osteuropa. Im Herzen entsteht ein Unterwassertunnel von 103 km Länge, der Helsinki mit Tallinn verbindet, den Transportweg um 75 % verkürzen soll und die Infrastrukturlücke zwischen Land und Wasser schließt. Das Baltikum und die Ostsee werden zum zen- tralen strategischen Raum für die eurasische Agenda Chinas. Chinas Regierung hat die Ostseeregion als ein Eintrittspunkt für Handel und Verkehr identifiziert. 2013 proklamierte Xi Jin- ping im Zusammenhang mit der maritimen Ausrichtung der Seidenstraßen, dass China den Transportweg vom Pazifik zur Ostsee erschließen wolle. Aus strategischer Sicht hat die nor- dische Seeroute für China einen zentralen Vorteil: Während alle anderen Routen der Seidenstraße im südchinesischen Gewäs- ser starten, beginnt die Polarroute im nordchinesischen Dalian der Provinz Liaoning. Es ist der nördlichste eisfreie Hafen und liegt geschützt im Gelben Meer.
Der Weg über die Arktis hat auch eine geopolitische und geo- ökonomische Dimension. Geopolitisch sichert sich China als selbsternannter near-arctic state, in Kooperation mit dem stra- tegischen Partner Russland, einen Zugang zu der zukünftig heiß umkämpften Arena der Großmachtpolitik. Es geht China um die Erforschung und Ausbeutung von Ressourcen. Gleichzei- tig wird China wohlgesonnene eurasische Partner brauchen. Chinesische Staatsunternehmen haben ihre finanziellen Mittel sowie Investitionen in Langzeit-Infrastrukturprojekte erhöht.
Darunter fällt z.B. der Aufbau des Datenzentrums Interxion STO2, das als Schlüsselprojekt gehandelt wird, um chinesisch- europäische Hightechinnovation zu ermöglichen.
Im Gegenzug wachsen aber auch Sicherheitsbedenken. Es droht die mögliche Abhängigkeit von chinesisch-geführten (Staats-)Unternehmen. Gleiche Bedenken bestehen bei dem Unterwassertunnel, bei dem zwar der lokale Arbeitsmarkt Auf- trieb erhalten soll, aber eine Abhängigkeit von chinesischer Gewährleistung und Wartung vermutet wird. Alle diese Groß- projekte stehen im Verdacht, zu einer Schuldenfalle zu wer- den: Es könnten unbezahlbare Schulden entstehen, die China in politische Gefallen tauschen wollen wird, wie das Beispiel des verpachteten Hafens Hambantota in Sri Lanka indiziert. Für Europa birgt die Investitionsstrategie chinesischer Firmen die Gefahr einer Zerreißprobe für den innereuropäischen Wett- bewerb, wenn die föderal organisierten Regionen der Vise- grad-Gruppe mit den baltischen Staaten in Wettbewerb um die Finanzmittel konkurrieren. Zwar besteht derzeit keine aus- gewiesene politische Agenda Chinas für das Baltikum, jedoch erschließt Chinas Konnektivitätspolitik den Ostseeraum. 7
*Josie-Marie Perkuhn ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Maritime Strategy & Security des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK).
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