Page 9 - Jahresbericht Hans-Böckler-Stiftung 2020
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ZWÖLF FRAGEN AN KARIN ERHARD Frau Erhard, Sie waren erst wenige Monate im Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung, da brach die Corona-Pandemie aus. Wie war der Start ins neue Amt unter diesen außergewöhnlichen Umständen? Ich hatte mich riesig darauf gefreut, diese Funktion zu übernehmen, weil ich die Hans-Böckler-Stiftung für eine absolut wichtige Institution halte. Und ich hatte mich sehr darauf gefreut, die Kolleginnen und Kollegen in der Stiftung persönlich zu treffen und kennenzulernen. Dann kamen dieser gewal- tige Einbruch und diese völlige Veränderung unse- res beruflichen und privaten Daseins. Alles ging erst einmal nur noch digital. Das war schon eine gewaltige Herausforderung. Trotz allem hatte ich wirklich guten Kontakt zu Kolleginnen und Kolle- gen aus der Stiftung und konnte viele inzwischen auch zum direkten Austausch treffen, zum Glück. Wir haben alle viel improvisieren und technische Lösungen ausprobieren müssen, die bis dahin eher als zweite Wahl galten, Stichwort: Videokonferen- zen. Konnte die Stiftung unter diesen Bedingungen präsent und relevant bleiben für die Arbeit der Gewerkschaften? Besser, als ich anfangs gedacht hätte, das muss ich sagen. Die Stiftung war auch im vergangenen Jahr mit ihren Publikationen immer am Puls der Zeit. Die Forschung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie, die eigens durchgeführten Erwerbstätigenbefragungen: Das ist nicht nur bei uns in den Gewerkschaften, sondern auch in den Medien überall zitiert worden. Das war schon sehr öffentlichkeitswirksam. Auch ich habe das intensiv verfolgt, gerade die Studien zu gleich- stellungspolitischen Fragen fand ich hochinteres- sant. Und erschreckend. Inwiefern erschreckend? Corona bedeutet für die Gleichstellung einen schweren Rückschlag. Durch die Krise ist noch einmal sehr deutlich geworden, wie stark wir immer noch in tradierten Rollenverständnissen stecken. Care-Arbeit ist überwiegend weiblich, von Partnerschaftlichkeit und echtem Teilen kann in vielen Familien keine Rede sein. Frauen sind aber auch die Verliererinnen der Krise, weil viele in Bereichen arbeiten wie der Pflege oder dem Einzelhandel, die tariflich nicht so gut organisiert sind. Aufstockungen des Kurzarbeitergelds gab es da kaum; das hat die Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen, die ja nach wie vor sowieso schon bestehen, noch einmal ver- schärft. Jahresbericht 2020 · Seite 9