Page 23 - Volksdorfer Zeitung Nr. 19 - März 2017
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Fritz Schumacher
Kein Geringerer als der bekann- te Architekt und Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schuma- cher (1869-1947), der Vater der weiter oben erwähnten, für die Hansestadt so prägenden Back- stein-Bauweise, schuf im De- zember 1918 die erste sorgfäl- tig ausgeführte Bauzeichnung, betitelt „Aufteilung des Gelän- des am Wensenbalken in Volks- dorf“. Diese Arbeit ist heute im Hamburger Staatsarchiv einzu- sehen.1921 diente diese Zeich- nung als Grundlage für die Ar- beit der ebenfalls renommier- ten Architekten Distel und Gru- bitz, die die endgültige Fassung für die Reichsheimstätten-Sied- lung Wensenbalken entwar- fen. Wie bereits erwähnt waren die ersten Häuser entlang dem Grasweg / Ohlendorffs Tannen Anfang 1923 bezugsfertig.
Das „Hamburger Fremden- blatt“ schrieb dazu : „Eine Mus- tersiedlung verspricht die Sied- lung Wensenbalken unmittel- bar neben Ohlendorffs Tannen auf Volksdorfer Gebiet zu wer- den. Vom Bahnhof Buckhorn der Walddörferbahn schlän- gelt sich ein Fußweg zwischen Bahndamm und Waldweg ent- lang, der am Nordrand des Wal- des auf den Grasweg, die erste fertige Siedlungsstraße, mün- det. Hier lebt man in der Tat dauernd in der Sommerfri- sche.“
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Aber die Siedlung Wensenbal- ken sollte nie – wie ursprüng- lich konzipiert – eine „Gemein- schaftssiedlung in vollendeter Form“ werden. Die galoppie- rende In ation von 1923/24 und die Weltwirtschaftskrise von 1929 bedeuteten nicht nur für das Deutsche Reich, son- dern auch für die „Krieger- heimstätten GmbH“, den öko- nomischen Kollaps. Von den ursprünglich geplanten 200 Reichsheimstätten wurden le- diglich 109 errichtet. Die Feier zur Fertigstellung der 100ten Reichsheimstätte fand 1927 statt. In den Jahren 1927 – 1930 wurden lediglich neun weitere Häuser errichtet. Die Siedlung blieb also ein Torso, aber alle Gebäude überstanden die Bom- benangriffe des 2.Weltkriegs unbeschadet und sind in mehr oder weniger ursprünglicher Form bis heute erhalten.
Rolf Böhlig: Aquarell „Teich und Gehöfte in den Hamburger Walddörfern“
Angeblich ge el Goebbels Böh- ligs realistische Malerei, in der er eine Möglichkeit zukünfti- ger NS-Kunst erblickte. Böh- lig wollte sich aber auf keinen Fall vereinnahmen lassen. Nach dem Krieg übte er seinen Beruf an der Meisterschule für Mode und später in der Berufsschu- le für Wirtschaftswerbung aus. Doch neben diesem Broterwerb blieb Böhlig ein ernsthafter Künstler, vor allem im Bereich der Landschaftsmalerei. Sein Nachlass be ndet sich in Volks- dorf und ist für eine Stiftung vorgesehen. Über Leben und Wirken dieses Wensenbalkener Künstlers verfasste der spätere Kustos des Barlach-Museums, Hugo Sieker, einen Bericht in dem bereits erwähnten „Wen- senbalkener Mitteilungsblatt.“
7 Der 3. Teil der Serie erscheint in der April-Ausgabe.
7 Eine ausführliche-
re Darstellung der Geschichte der Reichs- heimstätten-Siedlung Wensenbalken ist dem gleichnamigen Buch „WENSENBALKEN 1923- 2013: Auf der Suche nach einer kleinen Siedlung“ zu entnehmen.
Es kostet 17.50 € und
ist zu erhalten in der Buchhandlung I. von Behr in Volksdorf oder beim Autor Jens Koegel, Ohlendor s Tannen 56, 22359 Hamburg. E-Mail: jenskoegel@gmx.de.
7 Eine weitere Informationsmöglichkeit bietet die website : www. wensenbalken---archiv.de
In den 20er Jahren zog es offen- bar viele kreative, künstlerische oder naturverbundene Men- schen in die neue Siedlung, um „am Tor der Natur“ sesshaft zu sein. So fanden jährlich Kinder- und Faschingsfeste statt, die von Wensenbalkener Künstlern betreut wurden. Klee-Gobert schreibt: „Noch berühmter wa- ren die Faschingsbälle in Berg- stedt oder Wohldorf, an deren äußerer Gestaltung die Ehepaa- re Witten und Billert als ehema- lige Schüler der Landeskunst- schule einen hervorragenden Anteil hatten.“
Rolf Böhlig
Wenn man ein Exemplar der zur Bewerbung der gesell- schaftlichen Ereignisse ent- worfenen Plakate oder Hand- zettel betrachtet, so fällt auf, dass diese liebevoll gestalteten Druckerzeugnisse keine üch- tige Amateurware waren, son- dern sie im Gegenteil zeichne- risch und gestalterisch den aus- gebildeten Gra ker und Künst- ler verrieten. Ein Name fällt dem Betrachter dieser Zeich-
nungen besonders auf. Es ist der des Wensenbalkener Ma- lers und Künstlers Rolf Böhlig (1904-1979), wohnhaft in ei- ner Reichsheimstätte am Volks- dorfer Grenzweg.
Von 1922 bis 1927 war der vom Geist der Jugendbewe- gung stark geprägte Böhlig Schüler u.a. bei Professor Wohl- ers an der Kunsthochschule in Hamburg. Von 1930 bis 1939 arbeitete er, der an sich der So- zialdemokratie nahestand, vor allem für den „Hamburger An- zeiger“ und gab hier den Ham- burger Typen „Hein und Tedje“ durch Karikaturen gra schen Ausdruck, die sich in der han- seatischen Bevölkerung gro- ßer Beliebtheit erfreuten. Als überzeugter Demokrat war er innerlich ein Gegner des NS- Regimes, vermied aber die of- fene Konfrontation. Als Pro- pagandaminister Joseph Goe- bbels seine Ausstellung bei Gur- litt in Berlin besuchte, und die Sekretärin die Hakenkreuzfah- ne rausgehängt hatte, entfern- te Böhlig sich, um dem Minis- ter nicht begegnen zu müssen.
Kinderfest in der Siedlung Wensenbalken 1934
März 2017 VolksdorferZeitung 23