Page 591 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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in verschiedenen Richtungen in die unteren Theile der Stadt geleitet, und
                wo das der örtlichen Beschaffenheit nach nicht möglich ist, wird das
                Regenwasser in geräumigen Cisternen gesammelt und leistet denselben

                Dienst.
                     Eine hohe und breite Mauer mit zahlreichen Thürmen, Basteien und
                Bollwerken umgibt die Stadt; trockene aber tiefe und breite Gräben, mit
                Zäunen von Dorngestrüpp umwegsam gemacht, ziehen sich von drei
                Seiten um die Stadtmauern, auf der vierten versieht der Fluß die Stelle
                des Grabens.
                     Die Straßen sind nicht allein zum Fahren, sondern auch die Winde

                abzuhalten geeignet; die Gebäude sind schmuck und bilden mit der
                Vorderfront eine zusammenhängende Reihe in einer Straßenbreite von
                fünfzehn Fuß.
                     An der Hinterseite der Häuser liegen große Gärten, die ganze Länge
                der Straße entlang, an die wieder die Rückseite anderer Straßen stößt.
                Kein Haus, das nicht, wie vorneheraus die Straßenthür, so nach hinten

                ein Pförtchen in den Garten hätte. Diese Thüren sind zweiflügelig, mit
                einem leichten Druck der Hand zu öffnen, und gehen dann auch von
                selber wieder zu und lassen Jedermann ein, denn Privateigenthum gibt es
                ja nicht. Denn selbst die Häuser vertauschen sie alle zehn Jahre durchs
                Loos.
                     Diese Gärten halten sie hoch. Darin haben sie Weinberge, Früchte,
                Kräuter, Blumen, von solcher Pracht und Pflege, daß ich nirgends mehr

                Ueppigkeit und Zier gesehen habe. Ihr Eifer in dieser Art Gärtnerei
                entspringt nicht nur bloß dem Vergnügen, sondern auch einem
                Wettstreite der Straßen untereinander in Bezug auf die Pflege der
                einzelnen Gärten und sicherlich ist in der ganzen Stadt nichts
                Nützlicheres und Angenehmeres für die Bürger zu finden. Der Gründer
                der Stadt scheint denn auch auf nichts mehr Sorgfalt verwendet zu

                haben, als auf diese Gärten. Und richtig heißt es, Utopus selbst habe von
                allem Anfang diese Gestalt und Anlage der Stadt vorgesehen. Aber die
                Ausschmückung und den weiteren Ausbau, wozu, wie er voraussah, ein
                Menschengeschlecht nicht genügen würde, hat er den Nachkommen
                überlassen.
                     Und so steht in ihren Annalen geschrieben, die sie von der ersten
                Besitzergreifung der Insel an, die Geschichte von

                siebzehnhundertundsechzig Jahren umfassend, fleißig und gewissenhaft
                zusammengestellt aufbewahren, daß die Häuser im Anfang niedrig, wie
                Baracken und Schäferhütten, waren, aus beliebigem Holze errichtet, die







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