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Von Suhr nach Hollywood
Text und Interview: Thomas Lüthi
Berlin und New York sind zwar seit bald einem Vierteljahrhundert Lebens- und Arbeitsmittel- punkt von Petra Volpe. Ihr kreatives Reservoir blieb aber das Mittelland: Aus hiesigen Be- findlichkeiten schöpft die Aargauerin ihre Ge- schichten. Alles begann mit einem Kurzfilm über ihre Nonna und schlug sich später nieder in «Frühling im Herbst» – einer Romantic Co- medy um eine Bäckersfrau aus dem Suhrental mit starken biografischen Parallelen. Mit «Traumland» gewann Petra Volpe den Schwei- zer Filmpreis und mit ihrem «Heidi»-Drehbuch trug sie zu einem Grosserfolg an den Kinokas- sen bei. Diesen wiederholte sie mit ihrer nächsten Regiearbeit: In «Die göttliche Ord- nung» wird anhand einer jungen Hausfrau und Mutter der Kampf um das Frauenstimmrecht erzählt – ein mitreissender, komischer und aufwühlender Film. «Die göttliche Ordnung» ist mit bisher 330000 Eintritten ein einheimi- scher Blockbuster und tritt momentan seinen internationalen Siegeszug an. In den USA startete «Die göttliche Ordnung» im Oktober/ November 2017 in allen grösseren Städten. Jetzt wurde Petra Volpe von der renommierten Agentur William Morris Endeavor unter ihre Fittiche genommen – für die Suhrerin öffnen sich damit die Studiotore Hollywoods.
Sie wurden dort mit offenen
Armen empfangen ...
Petra Volpe: Die Leute von WME haben mich am Tribeca Filmfestival angesprochen. Ich fragte mich, wieso (lacht). Ich bin doch bloss ein kleiner Fisch ... Die Agentur arrangierte viele Treffen für mich. Ich war jetzt sieben Tage in L.A. unterwegs und hatte bis zu fünf Mee- tings pro Tag. Ich war anfangs etwas misstrau- isch, aber ich traf Leute von der Produktions- firma von Ridley Scott, von Fox Searchlight und Fox 2000. Ich ging durch das Eingangstor von Fox, links und rechts von mir standen diese riesigen Studiogebäude und ich kam mir vor wie im Märchen. Von der angeblichen Oberflächlichkeit spürte ich gar nichts: Ich traf viele tolle Frauen, hatte interessante Gesprä- che. Sie waren alle von «Die göttliche Ord- nung» begeistert und hatten sich intensiv mit dem Film auseinandergesetzt. Ich stellte den Leuten eines meiner neuen Projekte vor: Eine Geschichte, die in einem kalifornischen Ge- fängnis spielen soll.
Wie ist «Die göttliche Ordnung» vom nor- malen Publikum aufgenommen worden? Menschen in den USA reagieren sehr emotio- nal auf den Film. Das Erstaunen und Empören ist gross darüber, dass wir das Stimmrecht erst so spät gekriegt haben. Viele sagten: «Ich war da schon in den Ferien, ich habe das nicht gewusst.» Gleichzeitig hat der Film ja auch eine universale Ebene. Und die trifft im gegen- wärtigen politischen Klima offenbar einen Nerv. Es geht um Zivilcourage und um Rechte, die gegenwärtig plötzlich wieder in Frage ge- stellt werden.
War Hollywood immer ihr Traum?
Ganz und gar nicht. So weit reichten meine Träume gar nicht. Ich komme aus einer Arbei- terfamilie. Als ich dort verkündete, dass ich was Kreatives machen wollte – ohne selber genau zu wissen, was – riet man mir: «Ja werde doch Coiffeuse oder Konditorin.» Das war einfach die Welt, die meine Familie kannte. Mein Grossvater war der Bäcker Schmid, an der Tramstrasse 57. Er war weitherum be- kannt für sein Bauernbrot. Mein Vater ist in Suhr bekannt wie ein bunter Hund, weil er an allen Anlässen kocht. Und meine Mutter ist auch sehr sozial. Beide nehmen schon sehr aktiv am Dorfleben teil.
Gingen Sie schon als Kind viel ins Kino?
Nein, ein Ausflug ins Kino war etwas Beson- deres – auch aus finanziellen Gründen. Doch ich habe gerne Filme nachgespielt, mir eigene Geschichten ausgedacht. Die erzählte ich dann mit meinen Puppen. Sie erlebten Sa- chen, die ich selber nicht erleben konnte. Im Kindergarten war es mein Ziel, immer die erste im «Bäbi-Egge» zu sein. Dort war ich dann die Chefin und entschied, wer mit welchem «Bäbi» spielen darf.
Wie kamen Sie dann schliesslich zum Film?
An der Kanti entdeckte ich die Fotografie. Um eine entsprechende Lehrstelle bemühte ich mich zwar, aber chancenlos. Was ich zu hören kriegte, war bescheuert: «Mädchen sind zu schwach, können keine Lampen schleppen.» An der F+F Kunstschule lernte ich dann Video- schnitt. Ich fand, dass bewegte Bilder noch spannender sind als fixe. Als eine gute Freun- din von mir nach New York ging, kratzte ich selber mein Geld zusammen und begleitete sie. Ich war ein halbes Jahr dort. Wir mussten ständig einen neuen Ort zum Schlafen finden.
Ich drehte Experimental- und Musikvideos mit Drag-Queens und arbeitete als Assistentin für einen TV-Sender. Nach meiner Rückkehr wusste ich, dass ich Filme machen will. Ich hatte aber keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Für eine Werbeagentur schnitt ich Spots und Clips. Ich war eine der ersten Cut- terinnen, die das digitale AVID-System be- herrschte. Als ein Filmprojekt mit Samir nicht zustande kam, bewarb ich mich aus purem Trotz an der Filmschule Babelsberg und wurde angenommen. Mit einer Kamerafrau reali- sierte ich meinen ersten Kurzfilm – ein Porträt über meine Grossmutter. Wir reisten mit einem kleinen Team und vier Rollen 16 mm-Material von Berlin nach Suhr. Es war mein erstes Pro- jekt, doch Regie geführt hat eigentlich meine Nonna.
Was bedeutet Ihnen Ihre Heimat?
Ich schöpfe sehr viele Stoffe aus meiner Her- kunft und aus einer tiefen Kenntnis des Schweizer Charakters. Das steckt ja auch in mir, die Wertvorstellungen meiner Mutter und ihre Weltsicht: «Gschaffige» Menschen, die versuchen ein gutes Leben zu führen. Erfolg dabei haben oder scheitern. Ich schreibe ja nichts Intellektuelles, sondern über Sachen, Milieus und Menschen, die ich kenne und die mir nah sind.
www.goettlicheordnung.ch
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