Page 21 - Grundschuleltern-Sammelband Online-Link
P. 21

Lernen durch Anschauung und Selbsttätigkeit
Aus Büchern und anderen Medien können Kinder viel über die Welt lernen. Vor allem über die Welten, die der eigenen Erfahrung nicht zugänglich sind: über vergange- ne Zeiten, über andere Länder und auch über Bereiche, die dem Laien oft verschlossen sind – wie das Innenleben von Maschinen oder die Abläufe in einem Krankenhaus. Dennoch: Die persönliche Erfahrung ist meist intensiver, das eigene Probieren nachhaltiger.
Gilt also: Je mehr Kinder sehen, je mehr sie selber tun – desto besser lernen sie? So einfach ist es nicht (s. auch S. 31). Ein Alltagsexperiment macht es klar: Bitten Sie je- manden, das Ziffernblatt seiner Armbanduhr aus dem Kopf möglichst genau aufzuzeichnen. Nicht wenige werden Schwierigkeiten haben, obwohl sie doch täglich mehrmals auf die Uhr schauen. Aber dabei gilt ihr Inter- esse der Zeitangabe, nicht der Form des Ziffernblatts. Insofern macht es wenig Sinn, Kinder mit einer Vielfalt von Sinneseindrücken zu überschütten. Ein berechtigter Vorwurf gegen viele (Lern-)Programme auf PCs oder im Fernsehen: Nur bunte Bilder, durch Bewegung animiert und mit Musikteppichen unterlegt, dienen dem Lernen nicht.
Und Anschauung alleine reicht nicht: Wer keine Frage, wer kein gezieltes Interesse hat, läuft blind durch die Welt. Das gilt ebenso für den Gang durch den Wald wie für einen Besuch im Museum.
Darum sind Eltern wichtig (und Kindergärten und Schu- len). Es reicht eben nicht, im Kinderzimmer oder in der Schulklasse eine Alphabet-Leiste aufzuhängen. Erst wenn man gezielt einzelne Buchstaben abdeckt und die Kinder auffordert, die Leerstelle zu füllen, bilden sie eine »Anschauung im Kopf«. Ein solches »inneres Alphabet« hilft dann beim Suchen im Lexikon oder im Telefonbuch. Auf ähnliche Weise kann man Kinder unterstützen, eine Vorstellung vom Zahlensystem zu entwickeln: Erst deckt man auf einer Hunderter-Tafel eine Zahl durch eine Mar- ke ab und lässt das Kind diese Leerstelle benennen. Spä- ter bittet man es: »Stell dir vor, du bist bei der 24 und gehst eine Reihe tiefer (nächste Stufe: ...und dann noch drei nach rechts). Welche Zahl steht da?«
Eine innere Anschauung entsteht also aus der Selbsttä- tigkeit. Indem Kinder ein Fahrrad oder eine Blume zeich- nen, machen sie sich bewusst, wie die Dinge in ihrer Um- welt genau aussehen. Eine besonders ergiebige Aufgabe ist das Ausfüllen einer »black box«. Bitten Sie Ihr Kind zu bauen oder zu zeichnen, wie es sich das Innere eines Bohrers, einer Brotschneidemaschine oder einer Kaffee- mühle vorstellt.
Saschas, Katrins und Olivers Entwürfe für eine Stampfmühle
(Abb. aus: Möller 2000, 99 ➝  1b)
Dafür können Baukästen hilfreich sein. »Rezeption durch Produktion«, Verstehen durch Bauen. So gehen auch For- scher vor. Um zu verstehen, wie wir sehen, laufen, spre- chen, denken, bauen sie Roboter, die genau diese Leis- tungen erbringen sollen. Auch auf diesem Niveau gibt es hoch spezialisierte Experimentierkästen für Kinder. Aber man sollte Vor- und Grundschulkinder nicht mit kom- plizierter Technik überfordern. Einfache Bausteine las- sen mehr Raum für die eigene Phantasie. Und sie helfen Kindern, ihre Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen, Probleme auf ihrem Entwicklungsstand zu bearbeiten.
Konstruieren – Probieren – Nach-Denken
Noch vielfältiger sind die Möglichkeiten, die die natürli- che Umwelt bietet: Zweige, Blätter, Steine, Moose. »Wald- kindergärten« oder »Draußentage« in der Grundschule nutzen diese Chance. Aber am schönsten für Kinder sind Ausflüge mit den eigenen Eltern: in den Park um die Ecke, an den Fluss, auf den Bauernhof. Wer dann noch ein (ein- faches und robustes!) Mikroskop oder auch nur eine Lupe mitnimmt, kann auch unter die Oberfläche schauen.
09 • Mai2013 21
Foto: Grundschule Buschhütten


































































































   19   20   21   22   23