Page 102 - Dez2017
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Die Weihnachtsvorfreude umhüllt Brüssel wie ein glitzernder Vorhang. Über den Place du Grand Sablon schlendern Menschen mit Taschen von Godiva, Neuhaus, Léonidas. Der Platz ist Brüssels Pralinenzentrum: Praktisch alle großen belgischen Schokoladenhersteller haben hier einen Flagship-Store mit Schaufenstern voller bunter Schoko guren und Riesenpralinen. Nur einer trotzt den grellen Verheißungen: In dem Eckladen von Pierre Marcolini liegen puristisch verpackte Tafeln in Glastresoren. „Baracoa Cuba“ steht auf den Tafeln, „Kendem Lembu Java“ oder „Las Pampas Peru“. Es sind Namen von Kakao-Anbaugebieten. Marcolini nennt diese Schokoladen „Grand Crus“, sie bestehen aus sortenreinen Kakaobohnen und man kann sie degustieren wie einen großen Wein. „Schließen Sie die Augen und schmecken Sie die Aromen“, fordert er auf. Und dann fegt da ein Hurrikan über die Zunge.
Schon als Konditor zählte Pierre Marcolini, 53, zu den besten seiner Zunft. Seine Desserts haben einst Preise in ganz Europa gewonnen, 1995 war er sogar Weltmeister der Pâtissiers. Aber es ist die Schokolade, die ihn fasziniert, seit er denken kann. 2003 bringt er seine erste Grand-Cru-Tafel auf den Markt, heute verkauft er sie auf den teuersten P astern von Paris, London und Shanghai.
Denn Marcolinis Kakaobohnen haben das spezielle Klima eines Landstrichs in sich aufgesogen und wenn man sie auf der Zunge zergehen lässt, geben sie es wieder frei. Ein Bissen „Grand Cru“ schmeckt unfassbar intensiv nach Schokolade, klar, aber auch nach Honig, Karamell, Pfeffer. Um diese Aromen aus der Kakaobohne zu kitzeln, reist Marcolini um die ganze Welt, trifft Kakaobauern, probiert ihre Früchte, reist weiter, probiert wieder, verhandelt und lässt dann die auserwählten Bohnen in Jutesäcken von den Plantagen in Madagaskar, Indonesien oder Mexiko nach Brüssel schicken.
Dort sitzt er jetzt in seinem Büro mit schwarzem Patissier-Hemd, Jeans und Turnschuhen. Vor ihm auf dem Tisch liegen ein paar Kakaobohnen aus Vietnam. Es ist acht Uhr morgens und Marcolini hat schon zwei Stunden über einer neuen Pralinen- Füllung getüftelt. Die Sekretärin bringt ihm einen Espresso, Marcolini kippt ihn mit einem Schluck herunter. Dann sägt er eine der Kakaobohnen auf. Zum Vorschein kommt tiefbraunes, fast blaues
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he festive season has arrived in Brussels,  lling the air with excitement and anticipation. People are making their way across the Place du Grand Sablon
with bags from Godiva, Neuhaus, or Léonidas. The square is the heart of Brussels’ chocolate industry. Almost all of the major Belgian chocolatiers have a  agship store here with shop windows full of colourful  gurines and giant pralines. But only one stands out from the crowd:thePierreMarcolinishoponthecorner, featuring bars simply wrapped lined up in glass display cases. The labels read: “Baracoa Cuba”, “Kendem Lembu Java”, and “Las Pampas Peru”, for example. These are the names of the regions where the cacao for the chocolate was sourced. Like the  nest wines, Marcolini calls these chocolates “grand crus”, each made from cacao beans from a single source. “Close your eyes and taste the aromas,” he urges his customers, who are met with a tidal wave of  avour sweeping over
their palate.
When he was working as a pastry chef, Pierre Marcolini, 53, was considered one of the best in his profession. His desserts won prizes all over Europe and he even won the Coupe du Monde de la Pâtisserie in 1995. But it has been chocolate that has always fascinated him. In 2003, he launched his  rst Grand Cru bar and today he sells them at some of the world’s most exclusive shops in Paris, London, and Shanghai.
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