Page 8 - Japanese Art Auction December 7 2018 Lempertz (German Text)
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Netsuke
Netsuke (jap. Wurzel, die hängt), sind Gegengewichte zum Inro, mit deren Hilfe man das Ensemble am Gürtel (obi)
hängend stets mit sich führen kann. Es sind zweifelsohne die Netsuke, die in großem Maße die Begeisterung der
Sammler Europas und den USA für japanische Kleinkunst angeregt haben. Hier sei noch einmal der deutsche Pionier
Albert Brockhaus erwähnt, der 1905 sein bescheiden tituliertes Werk „Netsuke, Versuch einer Geschichte der japanischen
Schnitzkunst“ herausgab. Es enthielt 272 schwarz-weiß und 53 farbige (stets auf einer ganzen Seite gezeigte) Bilder. Diese
Ausgabe war binnen weniger Monate vergriffen. 1909 erschien die zweite Ausgabe und 1925 die dritte.
Aus meiner Sicht liegt der Reiz der Netsuke, der mich auch nach mehr als 50 Jahren intensiver Beschäftigung, d. h. in
meinem Fall Katalogisierung, noch nicht verlassen hat, in der endlosen Variation der Darstellungen. Dazu kommt die
unglaubliche Beherrschung des Materials mittels verschiedener Geräte für das Schnitzen und die Gravur, die oftmals vom
Künstler selbst hergestellt, also geschmiedet wurden. Dazu kommt die große Geduld des Künstlers, mittels Metallklingen
und durch Poliervorgänge u. a. mit Schachtelhalm, eine völlig glatte, sich wie Stoff anfühlende Oberfläche zu erzeugen.
Neben den in Japan heimischen und auch uns größtenteils geläufigen Tieren finden sich auch Darstellungen der junishi
genannten 12 Tiere des Tierkreises, wovon eine anmutige Ziege (Lot 480), den Kopf zur Seite geneigt, hier angeboten
wird. Dieses Stück wurde während einer lebensbedrohlichen Krankheit unseres Sammlers zum kraftspendenden Symbol
der Widerstandskraft. Ein charmanter Welpe (Lot 489) und ein Hase (Lot 481), beide von Ranichi, einem Schnitzer aus
Kyoto, berühmt für seine exzellenten Tier-Netsuke und die Gruppe Hirsch mit Jungem (Lot 493) von seinem Lehrer
Rantei, gehören neben dem Ichimin Eber (Lot 492) und der kräftigen Kugelratte eines Masanao (Lot 476) zu den
herausragenden Tier-Netsuke dieser Sammlung.
Wenn man die japanische Kultur in all ihren Facetten verstehen will, ist es gut und nützlich, wenn auch enorm zeitrau-
bend, sich mit Göttern, Heiligen, Teufeln, den Sagen sowohl aus Japan als auch dem viele Anregungen liefernden China
zu beschäftigen. Auch ein so ungewöhnliches Stück wie die hölzerne Birne (Lot 506), deren offenes Gehäuse erotische
Phantasien beflügelt, gehört zu dem Angebot der fast 100 Netsuke, die wir hier anbieten.
Eine große Vorliebe hatten die Netsuke-Schnitzer auch für Pflanzen, die sie sorgfältig mit allen typischen Details por-
trätierten, geschuldet der innigen Verbindung und Verbundenheit der Japaner mit der sie umgebenden Natur. Nicht
selten fand auch der sehr ausgeprägte, leicht verschmitzte Sinn für Humor Eingang in die Darstellungen der Netsuke.
Die sorgfältige Beobachtung von Tieren und Pflanzen und die Wiedergabe des jeweils Typischen erstaunt mich bis auf
den heutigen Tag und gehört zu dem unerhörten Reiz dieser kleinen Wunderdinge.
Gewohnheiten, alte Sitten und Gebräuche neben den vielen Anregungen, die aus China auf die japanischen Inseln
gekommen sind – all das hat Eingang in die reiche Welt der Netsuke gefunden und all das ist diese Welt. All das ist
auch die hier angebotene Sammlung. Mögen Sie sich davon bezaubern lassen!
Trudel Klefisch