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Dieser Koffer BILD am SONNTAG, •
23. Februar 2020 21
Bobby Lax (52) mit
dem Koffer seines
erzählt das Er ist überzeugt, dass
Vaters in London.
sein Vater damit 1939
Deutschland verließ
Holocaust- I Im August 1946
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Schicksal Flüchtlingsorganisation E n d e O k t o b e r 1 9 4 2 s e n d e t
teilt die jüdische
Edgar Lax in Großbritannien
mit, dass seine Eltern im
Januar 1943 nach Auschwitz
Ende Oktober 1942 sendet
Vater Jacob Lax „herzinnige
deportiert wurden
Geburtstagswünsche“ an sein
„geliebtes Kind“. Es ist der
vorletzte Brief von ihm, bevor
meiner Familie Balkon ihrer Wohnung in der Zimmerstraße 48b t ihn die Nazis ermorden
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1936, Berlin: Edgar Lax als 13-Jähriger mit
seinen Eltern Jacob und Amalie auf dem
Bobby Lax wusste kaum etwas von der
Flucht seines Vaters aus Berlin – bis er das
Gepäckstück in der Garage fand
Der alte rotbraune Koffer hat Bobby Lax
abgescheuerte Kanten, der Le mit Vater
dergriff ist ausgeleiert, die Edgar im
Schlösser sind rostig. Jahrzehn August
telang verstaubte er unbeach 2009
tet in einem Einfamilienhaus
in London. Hier wuchs Bobby
Lax (52) auf, das Gepäckstück
gehörte seinem Vater Edgar. seine Kindheit und Jugend spre-
Erst vier Jahre nach dessen Tod chen. „Sonst wäre ihm wahr-
erfuhr er von der Existenz des scheinlich die ganze Größe sei-
Koffers – und den Geheimnis ner Tragödie bewusst geworden,
sen, die darin versteckt waren. und das hätte ihn daran gehin-
dert, mit dem täglichen Leben
umzugehen“, erklärt Sohn Bob-
VON HANS-WILHELM SAURE by, als BamS ihn in der Wohnung
UND MONIKA KENNEDY
seiner Mutter in London trifft.
Berlin-Mitte, Ende der 1930er-
„Dieser Koffer erzählt die Ho- Jahre: Familie Lax wohnt in ei-
locaust-Geschichte meiner Fa- ner Sechs-Zimmer-Wohnung mit
milie“, sagt Bobby Lax, der an Balkon in der Zimmerstraße 48b.
einem Film über die Geschichte Vater Jacob Lax betreibt ein Ge-
seines Vaters arbeitet. „Ich wuss- schäft für Damenkonfektion, das
te nichts davon. Bis zu dem Tag, wegen der nationalsozialistischen
vier Jahre nach dem Tod meines Verfolgung im Herbst 1938 schlie-
Vaters. Mein Bruder Daryl und ßen muss. Die Familie entschei-
ich redeten darüber, wie wenig det, Sohn Edgar, den sie Eddie
wir über die Vergangenheit un- nennen, in Sicherheit zu bringen.
seres Vaters wussten.“ Daryl hat- Am 30. Dezember 1938 erreicht
te als Kind mal etwas über den die Familie ein Eilbrief: Edgar Mama fuhr zum Bahnhof Zoo, bereits seit einem Jahr in Eng- Aubrey Pomerance vom Jüdi- Doch auch in den Niederlan- den die Eltern von Edgar in das
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Koffer aufgeschnappt – und er- darf am 4. Januar bei einem Kin- um mich noch einmal auf der land. Der Grund: Es gab Unklar- schen Museum Berlin: „Ungefähr den sind Edgars Eltern nicht si- Sammellager Westerbork ge- 87 Stolpersteine werden am Springer-Neubau verlegt
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zählte Bobby davon. „Ich stellte dertransport nach Holland mit- Fahrt zu sehen.“ Mit ihm im Zug heiten mit seiner Staatsbürger- 1500 Jugendliche und Kinder ka- c h e r . N a c h d e m Ü b e r f a l l d e r bracht. Am 11. Januar 1943 wer-
cher. Nach dem Überfall der
das Haus meiner Mutter auf den fahren. „Unsere Freude war un- sitzen etwa 100 weitere Kinder. schaft. Aus Sorge schickten ihn men mit Kindertransporten nach Deutschen auf Holland müssen den sie nach Auschwitz depor- Die Wohnung der Fami- Insgesamt 87 Schick-
Kopf, bis ich den Koffer unter begreiflich“, schrieb Edgar in ein Das Ziel der Reise: Eindhoven. die Betreuer vom Jüdischen Holland. Etwa 500 dieser Kinder Jacob und Amalie Lax ab dem tiert und dort ermordet. Erst im lie Lax lag in einem sale (48 Todesopfer, 39
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Dutzenden Kisten in der Garage N N o t t i i z h e f f t t , , d a s s i i n d e m a l l t t e n K o f f - In einer Herberge, dem „Dom- Flüchtlingskomitee weiter ins wurden nach dem Einmarsch der 19. September 1941 den Juden- August 1946 erfährt er durch ein 10.000 Quadratmeter flüchteten oder tauch-
Notizheft, das in dem alten Kof-
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fand. Es war unglaublich emoti- fer lag. „Die Mama verbot mir, melhuis“, werden die jüdischen englische Harwich. Dabei woll- Deutschen in den Konzentrati- stern tragen. Nun kommen bei Schreiben der jüdischen Flücht- großen Karree mit ehe- ten unter) konnten
onal, die Briefe, Tagebucheinträ- irgendetwas davon zu erzählen. Flüchtlingskinder einquartiert. te Edgar damals unbedingt in Hol- onslagern ermordet.“ Edgar nur noch Rote-Kreuz-Brie- lingsorganisation von der De- mals 23 Häusern, auf recherchiert werden.
ge, Fotoalben und Dokumente Sie hatte Angst, es könnte da- Historiker Aubrey Pomerance land bleiben, schrieb in sein Heft: Häufig schreiben sich Edgar fe mit maximal 25 erlaubten Wör- portation. dem der Neubau der Sie sollen alle einen
durchzugehen.“ durch noch etwas schiefgehen.“ (60) vom Jüdischen Museum Ber- „Sehr niedergedrückt packte ich Lax und seine Eltern. Im Juni 1939 tern von seinen Eltern an. Eddie überlebt als Einziger Axel Springer SE ent- Stolperstein erhalten.
Am Mittwoch werden in Ber- In der letzten Nacht bei sei- lin: „Zahlreiche deutsche Juden zu Ende.“ meldet sich Mutter Amalie, da- In einem ihrer letzten Briefe der Familie den Holocaust. standen ist. Auf dem Zunächst werden 46 in
lin Stolpersteine für Edgar Lax nen Eltern schläft der 15-Jährige flüchteten in europäische Nach- Eddie Lax fuhr mit etwa ei mals noch aus Berlin, mit einer schreiben sie: „Geliebtes Kind. 1962 heiratet er seine Evelyn, Grundstück im alten der Zimmerstraße für die Familie Lax dabei: Edgars Koffer,
und seine ermordeten Eltern vor nur zwei Stunden. „Nachdem die barstaaten wie die Niederlande nem halben Dutzend Kindern Postkarte. Sie schreibt: „Gelieb- Herzinnige Geburtstagswün- das Paar bekommt die Söhne Berliner Zeitungsviertel angebracht. Den Auf- (Foto) und für das Ehe- der an das Jüdische FOTOS:NIELS STARNICK, ANDREW HASSON, PRIVAT
dem Axel Springer Verlag (sie- Koffer abgegeben, alle aufgeru- oder Frankreich. Viele von ihnen nach England. Es waren die ein tes Kind! Auf Anraten vom lie- sche, mögest Du für die Zukunft Daryl und Bobby. Warum er wohnten und arbeiteten takt macht der Künstler paar Zickel verlegt. Zur Museum übergeben
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he Kasten) verlegt. Das Haus, in fen waren und wir uns zum glaubten, das Naziregime würde zigen seiner Gruppe aus dem ben Papa sende ich Dir die Kar- Kraft, Gesundheit und Glück i i ihnen nie etwas von dem Kof- - viele Juden, bis sie ver- Gunter Demnig (72), der Zeremonie kommen werden soll. Auch Kul-
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dem die Familie wohnte, wurde x-ten Mal verabschiedet hatten, sich nicht lange halten.“ „Dommelhuis“, die nach dem te erst heute (...) Bis dahin küßen haben. Dank für Deine Wün- fer in der Garage erzählt hat? trieben oder in die am Mittwoch bei einer unter anderen die tur-Staatsministerin
im Krieg zerstört – wie fast das ging es auf den Bahnsteig. Papa Am 13. April 1940 flüchten auch Einmarsch der Deutschen in Dich innigst viele 1000x Deine sche. Von Verwandten keine Für Bobby Lax hat die Suche Todeslager deportiert feierlichen Zeremonie Witwe, Söhne und Enkel Monika Grütters (58,
ganze Viertel. Zu Lebzeiten woll- war im Bahnhof geblieben, auf Edgars Eltern in die Niederlan- Holland nicht in ein Konzen sich um Dich sehr sorgenden El- Nachricht. Herzliche Grüße. El- nach einer Antwort erst be- wurden. die ersten Stolpersteine von Edgar Lax. Mit CDU) wird erwartet.
te der Vater nicht detailliert über den Bahnsteig durfte er nicht. de. Doch da war ihr Sohn Edgar trationslager kamen. tern.“ tern.“ Im Dezember 1942 wer- gonnen.
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