Page 23 - Bild am Sonntag (+05. August 2018)
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Traumhafte Kulisse, aber leere               BILD am SONNTAG,  Deutschland & die Welt 23
                                                 5. August 2018
 Tavernen: 30 Millionen Touristen
 werden in Griechenland 2018 erwartet,
 aber noch bleibt der Boom aus  Mirsa (21) und Erdem (19) sind
                               Straßenmusiker. Hier sitzen sie auf
                               den Treppen der Burg von Molyvos






   Fotini Giorgiadis (19):
   „Mein Vater ist Grieche, meine
   Mutter Deutsche. Ich studiere
   hier in Athen lieber als in Deutschland“

























   Kostas Polychronopoulos (53) ist der  FOTOS:  MARO KOURI/POLARIS/LAIF, SIEGFRIED KUTTIG/IMAGEBROKER/MAURITIUS  Karis Nillos (54, r.) ist der  Manolis Syrellis (55)
 Griechenlands   human“. Er und seine Freunde kochen   Besitzer eines Fischverkauf-  und seine Mitarbeiterin
   Initiator der Suppenküche „The other
                               Standes in der Athener
                                                                                 verpacken Ouzo aus
   in Ortschaften rund um Athen und
                                                                                 Plomari. Die Destillerie
                               Markthalle. Seit 20 Jahren
   geben kostenloses Essen aus
                               betreibt er den Laden
                                                                                 auf Lesbos exportiert
                                                                                 auch Spirituosen nach
                                                                                 Deutschland
 langer Weg    Pelagia Chrisomallos
   (41) ist Café-Be-
   sitzerin auf Lesbos:
   „Seit es den Euro
   gibt, geht es den
   Griechen immer
   schlechter“
 aus der Krise
 Staatsbankrott, Flüchtlingskrise, Waldbrände – die Griechen   Syrische Flüchtlinge   Pantis Bitsolis (55):
 im Camp „Moria“ auf der
 Insel Lesbos. Ein Vater liest seiner                                            „Die Globalisierung
 haben es nicht leicht. Ein BamS-Besuch an der Ägäis  Tochter aus dem Koran vor  macht uns kleinen
                                                                                 Händlern das
                                                                                 Leben schwer“
 Die Krise in Griechenland, der   Athener Fischmarkts, ist ernüch-  „Griechische Studenten bekom-  zige große Lebensmittelladen im   frage nach unseren Computer-   „Es geht mir um das soziale Mit-  dem Ofen. Es duftet nach Thymi-  heit, als Hunderte Flüchtlingsboo-
 Streit um Hilfskredite, Banken   ternd. „Griechenland ist am Ende“,   men kein Bafög. Ich bin f nanziell   Ort. Er sagt: „Ich brauche 120 000   Kursen ist riesig“, sagt Gründer   einander. Nachdem ich vor einigen   an, der auf alle Speisen gestreut wird.   te hier ankamen, Fischer und
 und  Steuerverschwendungen,  meint Fischverkäufer Pantis Bitsolis   auf die Hilfe meiner Eltern ange-  Euro, um mein Geschäft wieder auf-    Mexis. „Wir haben den Glauben an   Jahren meinen Job im Marketing     Sotiria, die 89-jährige Mutter von     Tavernenbesitzer hier zahlreiche
   gefühlt ist das alles so alt, wie das   und verschränkt die  Arme vor sei-  wiesen“, erzählt sie. Aber Griechen-  zubauen. Aber der Staat wird mir   Griechenland nicht  verloren. Wir   verloren habe, depressiv wurde, kam   Yorgos, hält unsere Hände fest. Herz-  Leben retteten. „Meine Erinnerun-
 alte, antike Griechenland selbst.  nem weißen Kittel. Der Bau   land  verlassen  und  nach   nur eine Entschädigung von 8000   kreieren hier ein modernes Modell,   mir die Idee zu kochen. Einfach für   lichkeit und Nähe, auch dafür sind   gen würde ich am liebsten verges-
 erinnert an einen türki-  Deutschland, das Geburts-  Euro auszahlen.“ Wie es mit ihm und   um Ingenieure wieder in Arbeit zu   alle Menschen. Denn Essen bringt   die Griechen bekannt. Die jüngste   sen. 2016 gab es einen Tag, an dem
 schen Basar. 1878, als die   land ihres Vaters, ziehen,   seinem Geschäft weitergehen soll –   bringen, egal ob Flüchtling oder   die Menschen zusammen“, sagt   Tochter Kostandina (19) sagt: „Ich   ich 80 Menschen aus dem Meer   Stratis Valiamos (42) wurde
 VO N   C L A R A  S C H I N K  Türken über Griechen-  EUROPA-  kommt für Fotini trotz-  Stamatakis weiß es nicht.  Grieche. Das geht nur durch Bil-    Kostas Polychronopoulos. Geld für   werde mit einem Nagelstudio Ge-    geholt habe“, erzählt Fischer Stra-  2016 für den Friedensnobelpreis
 F OTO S   M A R O  KO U R I                                                                             nominiert: „Ich habe den
 land herrschten, wur-  REISE  dem nicht infrage. „Ich   Zurück in der Hauptstadt Athen   dung“, meint Produktmanagerin   die Zutaten der Suppenküche er-  schäfte machen. Alle Frauen lassen   tis Valiamos. „Ich packte ein Klein-  Flüchtlingen geholfen, weil das
 de die Halle errichtet.   liebe Griechenland.   lernen wir zwei Griechen kennen,   Tsekoura. Und sagt zum Abschluss:   hält er durch Spenden aus der gan-  sich die Nägel maniküren, weil sie   kind und ließ es wieder los, weil   jeder getan hätte“
 Dabei ist in den letzten Monaten   „Jeder zweite Laden   Griechenland  Ich liebe die Men-  die zeigen, wie sich das Land im   „Warum aufgeben? Das bringt uns   zen Welt, aber auch Supermärkte   sich was Gutes tun wollen – auch   ich ein anderes sah, bei dem ich hof -
 einiges geschehen. Griechenland   hier steht leer“, sagt   schen, das Wetter, das   Kleinen neu erf ndet. Jai Mexis (28)   und dem Land doch überhaupt   geben ihm übrig gebliebenes Essen.  wenn sie eigentlich kein Geld  haben.“   te, dass es noch am Leben ist. Zur-
 geht es wieder gut, meint etwa die   Bitsolis. „Ich verdiene   Meer. Hier sind meine   und Nota Tsekoura haben  zusammen   nichts.“  Am Abend hat uns Familie Man-  Ihr  Vater Yorgos ergänzt: „Wir Grie-  zeit kommen jeden Tag noch ein
 Ratingagentur S&P und hat gerade   gerade einmal 800 Euro   Familie, meine Freunde.   das Start-up AstroLab aufgebaut:   Wir kehren auf den Monastira-  da aus Kapandriti im Hinterland   chen sind positiv!“  bis zwei Boote an.“
 erst den Ausblick von „stabil“ auf   im Monat, dabei kostet al-  Hier schlägt mein Herz!“  Ein Bürogebäude, das Menschen   ki-Platz zurück. Pünktlich um 16   zum Abendessen eingeladen. Nach   Am nächsten Morgen geht es für   Wie sähe seiner Meinung nach
 „positiv“ erhöht. Am 21. August soll   lein die Nachhilfe für meine   Am Nachmittag fahren wir in   mit den unterschiedlichsten Hin-  Uhr  kommt  Kostas Polychro-  Sonnenuntergang erreichen wir den   uns mit dem Flieger nach  Lesbos.   eine Lösung für die Krise aus? „Die
 das Land den EU-Rettungsschirm   Tochter monatlich 200 Euro.“  die Region Mati. Es weht ein an-  tergründen of ensteht, in dem sie   nopoulos mit seinen Freunden   Hof in den Bergen. Familie Manda   Griechenland wird auch das Land   Seegrenze muss dicht gemacht
 verlassen. Damit endet die Krise,   Wir gehen zu Fuß weiter Rich-  genehmer Sommerwind in dem   sich  gemeinsam  weiter bilden  hierher und baut eine  Küche im   geht es gut, sie wohnen mit den   der tausend Inseln genannt – ins-  werden!“
 Griechenland steht dann wieder auf   tung Monastiraki-Platz und tref en     ruhigen Küstenort, der etwa 40 Ki-    können, mit PC- und Sprachkursen.   Freien auf. Jeden Dienstag kochen   Großeltern und drei Töchtern in   gesamt sind es 3054. Und die Inseln   Das Flüchtlingscamp „Moria“ auf
 eigenen Beinen – zumindest of  zi-  die Deutsch- Griechin Fotini Gior-  lometer von der griechischen Haupt-  Zwar sanken durch die Liberali-  sie hier und geben bis zu 600 Por-  ihrem Anwesen auf zwei Gebäude   boomen:  Allein  aus  Deutschland   Lesbos ist eines der größten Auf-
 ell. Also Ende gut, alles gut? Und   giadis in einem Café mit Blick auf   stadt entfernt ist. Sanft spült das   sierungen des Arbeitsmarkts einer-  tionen kostenloses Essen aus. Das   verteilt. „Ich habe drei Häuser in   sollen in diesem Jahr 3 Millionen   fanglager der EU und wurde zum
 wie sehen das die ganz normalen   die berühmte Akropolis. Fotini stu-  glas klare Meer die Wellen an den   seits die Durchschnittslöhne, auf   ist nicht nur für Obdachlose, von   Athen und kann von der Bewirt-  Touristen nach Griechenland kom-  sogenannten Hotspot erklärt. Hier
 Griechen?  diert Germanistik, möchte eines Ta-  Strand von Artemida. Gerade hat   der anderen Seite wurde so aber   denen es immer mehr in Athen   schaftung und Vermietung leben“,   men – doppelt so viele wie im Kri-  sollen Asylverfahren schnell abge-
 BamS wollte das wissen und ist   ges in Griechenland als Deutsch-  hier ein tödliches Feuer gewütet,   die Neugründung von Firmen er-  gibt, sondern für alle. Denn auch   erzählt Yorgos Manda (56), der   senjahr 2012!  wickelt  werden. Doch uns BamS-
 820 Kilometer durch das Land   lehrerin arbeiten. Doch noch im-  91 Menschen kamen bei dem Wald-  leichtert.  das ist Griechenland: Menschlich-    Familienvater. Als wir in der Küche   Ruhig wiegen sich die weißen   Reportern zeigt sich ein anderes   Nota Tsekoura (35) ist Managerin
                                                                                bei einem Start-up in Athen: „Bei
   gereist.  mer sind 40 Prozent der Jugend-  brand ums Leben. Wir tref en Ilias   „Wir haben in den letzten Mona-  keit und Brüderlichkeit, auch in   Platz nehmen, trinken wir hausge-    Fischerboote auf den Wellen im   Bild. Das of  zielle Camp ist maß-  uns arbeiten Griechen und Flücht-
 Gleich das erste Gespräch, in der   lichen in Griechenland arbeitslos   Stamatakis, dessen Supermarkt völ-  ten 20 jungen Leuten zu einem   Zeiten der Massenarbeitslosig-  machten Wein, essen griechischen     Hafen von Skala Sikamineas. 2016   linge an neuen Design-Konzepten“
 wunderschönen alten Halle des   – bereitet ihr das Sorgen?  lig aus gebrannt ist. Es war der ein-    Arbeitsplatz verholfen. Die Nach-  keit und Flüchtlingskrise.  Salat mit Feta und Hühnchen aus   erhielt der Ort traurige Berühmt-  BITTE BLÄTTERN SIE UM
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