Page 14 - PIP
P. 14

Bjoern Frers
„Mit dem Handy in der Peepshow“ betitelte die Literaturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert prägnant ihre Abhandlung über die zunehmende Verschränkung des öffentlichen und des privaten Lebens in unserer Gesellschaft. Nachdem ich Jasna und Clément kennenlernte, erinnerte mich der Name ihrer Company gleich an dieses Buch - public in private eben. Mehr als zehn Jahre später blicke ich auf diese erste persönliche Assoziation zurück. Zugegeben, weder ein Handy noch eine Peepshow sind mir in den Arbeiten von Clément Layes und Jasna Layes-Vinovrski je begegnet. Aber einen Sachverhalt haben die Monografie von Gertrud Lehnert und die vielen Choreografien von Public in Private dann doch gemein: sie erzählen von gegensätzlichen Begriffspaaren, die vielleicht gar nicht so gegensätzlich sind, es nie waren oder zumindest nicht sein müssen. Und sie tun es mit einem Augenzwinkern.
Wann immer sich sicher geglaubtes Wissen verflüssigt, eindeutige Zuordnungen und Platzierungen im Wissenssystem ins Wanken geraten, wenn die strenge Logik der Aufklärung, derzufolge 1 + 1 immer 2 ergibt, außer Kraft gesetzt wird, dann legt sich kurz ein Zauber über die Welt und sie erscheint in einem anderen Licht.
Und diesem Zauber bin ich immer wieder in den Arbeiten von Public in Private begegnet – und erlegen. Vielleicht am einfachsten verdeutlicht am Beispiel von „Allege“, dem Solo, mit dem alles und auch ich anfing: Die amüsante Eingangsszenerie von „Allege“, in der ein schrullig wirkender Typ schier ungelenk aber mit größtem Körpereinsatz entlang absurd wirkender Planungen eine Pflanze mit einem geschickt auf dem Körper balancierten Glas Wasser gießen möchte, kulminiert in ein Spiel um Bedeutungen der Dinge. Das zuvor verschüttete Wasser wird kurzerhand zum Ozean, der nasse Lappen zum Traum. Und mit einem „And the dream goes to the ocean“ landet der Lappen in der Pfütze und die beiden Gegenstände tauchen ein in ihre neue Seins-Bestimmung. Immer mehr Requisiten erhalten neue Bedeutungen, verkörpern abstrakte Begriffe, bilden zusammen neue Paarungen und Bedeutungen und türmen sich auf dem Tisch in der Bühnenmitte zu abstrakten Wort- Ding-Neuschöpfungen. Das Spiel entfaltet einen enormen Sog, reißt sein Publikum mit und bringt die Dinge zum Sprechen. Wissen wird umarrangiert, Schubladen im Denken neu belegt. Die Welt wird eine Andere, buchstäblich im Handumdrehen. Das tat sie übrigens weltweit auf Gastspielen. Hier wie dort schienen die Besucher*innen beschwingt und dann doch nachdenklich mit der Frage „wie kann ich meinem starren Denken entkommen? Wie die Welt wieder anders sehen?“ den Saal nach der Vorstellung zu verlassen.
Es ist diese Frage, die als Movens für mich hinter den Arbeiten von Public in Private steckt. Es ist diese Art, das Gegebene nicht als Unumstößliches anzusehen, sondern das Potential für (s)eine Andersartigkeit freizusetzen. Alltagsgegenstände mutieren hier zu eigenständigen Persönlichkeiten, Träume werden zum wahren Leben, lieb gewonnene Routinen laden auf eine Reise durch Zeit und Raum. Es sind Betrachtungen des Lebens und unserer Gesellschaft. Jede Performance ein Appell und Erinnerung daran, dass es auch anders geht und das Denken frei ist. Dieses Politische ist hier insofern privat, als dass
14


































































































   12   13   14   15   16