Page 7 - Demo
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Wie wird er wohl aussehen, dieser erinnerte Moment? War er das? Angespannt folge ich ihren sich immer wieder unfreiwillig synchronisierenden Bewegungen, während sie gemeinsam auf mich zu- schlendern. Das Warten ist aufregend, gleichzeitig aufreibend, auslaugend.
Und wenn er es nicht war? Wenn ich ihn verpasst habe? Und dieser Tag einfach verschwindet? Schon kurz nach dem Abschied keimen Zweifel in mir auf. Draußen ziehen nebulöse Landschaften vorbei. Aus den Zweifeln wird Sorge. Zwischen Sträuchern und Feldern suche ich ihre Gesichter. Jäh unterbricht ein Blick meine Gedanken. Aus dem trüben Zugfenster starre ich mir selbst in die Augen.
Was wohl zuerst verschwindet? Ob ich den Verlust überhaupt bemerke? Da ist sie wieder, hier in der Dunkelheit, diese zermürbende Anspannung. Meine Gedanken wandern zu älteren Erinnerungen. Dort gelingt es doch auch. Wenn ich nur wüsste, was es ist. Dass der Film schon lang auf der Spule ist, wird mir erst jetzt bewusst.
Ob es sich wohl sehr von dem Gedanken unter- scheidet, von dem Bild im Kopf? Die ganze Ent- wicklung über sehe ich ihr unwirkliches Bild vor mir. Es ist nicht greifbar, optisch nicht fassbar, nicht in meinem Kopf und schon gleich gar nicht außerhalb. Sobald ich mich ihren Gesichtern nähere, scheinen diese aufzuweichen, sich aufzulösen. Sie scheuen vor meinem Blick zurück, fliehen.
Gibt es diese Momente, die sich einfach nicht ein- fangen lassen, derer man nicht habhaft werden kann? Versunken lege ich irgendeines der Negative ein. Das Bild ist unscharf, zu dunkel. Doch mein Blick bleibt am sich schwach in Schwarz auf Rot abzeichnenden Bild hängen. Erinnerungsfetzen schießen in meinen Kopf, zusammenhanglos. Es zeigt nur Schemenhaftes, alles nur zu erahnen und nur weil ich dabei war. Aber die Macht, die es hat! Genau diese Wirkung ließen die anderen Bilder vermissen.
Nichts! Angestrengt, nein, verkrampft ist das jetzt. Das nächste Bild verschwindet mit einem letzten Aufblitzen in der Dunkelheit, wirkungslos. Die Er- wartung war hoch. Doch keine Erlebnisse kehren zurück, selbst wenn ich sie mit aller Gewalt meines Verstandes zu finden versuche. Licht.
Ich unterbreche das resignierende Tasten nach dem Schalter, greife auf der Ablage nach einem viel älte- ren Negativstreifen, vor langer Zeit aussortiert. Mit dem warmen Licht strömen lebendige Gedanken, durch die verschlissenen Bilder hervorgelockt, und Ereignisse, die auf ihnen nicht zu erahnen sind, plötzlich in den kleinen Raum und entfalten ihre zerklüfteten Episoden.
Wann hätte ich mich sonst erinnert? Wie lang hätte ich wohl verzweifelt gesucht? Wer hätte sich sonst daran erinnert? Natürlich ist der Akt des Fotogra- fierens werdende Vergangenheit. Aber nichts, was über das Bild hinausgeht, lässt sich später wirklich darin erkennen. Es bleibt ein Fragment, dessen Verschwinden erst Raum und Zeit für tatsächliches Erinnern schafft.
- In der dunklen Kammer mit R. B.
Texte: Stefan Törmer