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„[Unsere eigenen Bilder der Wirklichkeit] werden dort zwischen den künstlichen, bunten Partikeln, in die dort die Welt zerfällt, zerrieben.“1 - Floris M. Neusüss
Egal ob als Erinnerungsstütze, Dokument oder Tro- phäe entstanden, jede Fotografie ist ein Querschnitt durch die Zeit, ein Präparat, das selbst nicht sichtbar ist, sich hinter dem abgebildeten Motiv verbirgt. Diese Bilder der eingefrorenen Schnitte sind dazu fähig, eine vergangene Zeit wiederzubeleben und visuell zu wiederholen, was in Wirklichkeit nie mehr wiederkehrt. Damit ist jede Fotografie eine „Leiche des Moments“2 und „eine [ihrer] dauerhaften Er- rungenschaften [...] ihre Strategie, lebendige Wesen in leblose Dinge zu verwandeln und leblose Dinge in lebendige Wesen.“3
Recht deutlich wird dies im „Visible Human Project“4 der amerikanischen National Library of Medicine,
in dessen Rahmen der Körper des 1993 zum Tode verurteilten Joseph Jernigan eingefroren, in 1.871
je einen Millimeter dicke Scheiben geschnitten und Schicht für Schicht fotografiert wird. Diese umfas- sende Verwandlung des menschlichen Körpers in fotographische Präparate ermöglicht nicht nur einen vollkommenen anatomischen Einblick, sondern verwandelt die Leiche in ein absolutes Abbild des Lebens – macht Jernigans quasi unsterblich.
Diese „Ambivalenz zwischen Vivifikation und Morti- fikation, zwischen der Kraft der Photographie, Totes zum Leben zu erwecken, einerseits und der ihr zu- geschriebenen Eigenschaft, lebende Wesen in starre, tote Bilder zu verwandeln, andererseits“5 wird weiter sichtbar in der gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf- kommenden – und auch heute noch zu findenden
– Praxis der Anfertigung von Abzügen von Bildern Verstorbener aus ihrer eigenen Asche.6 In diesen Bildern des Andenkens gesellt sich also zur visuellen Referenz, die jede Fotografie beinhaltet, auch noch eine physikalische. Aus den Überresten eines Toten steht hier sein Abbild auf, während gleichzeitig und tatsächlich der Tod auf der Oberfläche der Fotografie wandelt.
Die gleichzeitige Loslösung von Träger und äußerem und einmaligem Bezugspunkt in Johanna Schlegels Arbeit stellt für die Fotografie eine Wandlung von Roland Barthes‘ „Es-ist-so-gewesen“7 in ein un- umkehrbares und doppeltes „Es-ist-nicht-mehr“ dar. Das Medium bricht aus sich aus und mit dem Leben verschwindet auch der Tod aus ihm. Und plötzlich ist es die Fotografie an sich, die zurückbleibt, die unab- hängig von Motiv und Referent für sich selbst steht, diese aber weiterhin in sich trägt – als Erinnerung.
1 Floris M. Neusüss, Catalogue: Photo Recycling Photo, Kassel, 1982, S. 150.
2 Marianne Kesting, Die Diktatur der Photographie, Zürich, 1980, S. 21.
3 Susan Sontag, Über Photographie, Frankfurt a.M., 1980, S. 93.
4 https://www.nlm.nih.gov/research/visible/visible_human. html (Stand: 26.06.2019).
5 Bernd Stiegler, Bilder der Photographie, Frankfurt a.M., 2006, S. 245.
6 siehe: Cremation Art Photography
7 Roland Barthes, Die helle Kammer, Frankfurt a.M., 1985,
S. 90.



















































































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