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Deutscher Marinebund
NACHRICHTEN DEUTSCHER MARINEBUND
Erinnerungen an Tsingtau
Ulrich Dennerlein*
Im April-Heft berichtete Leinen los! auf Seite 51 über die Einweihung des Tsingtau-Archivs im Internationalen Maritimen Museum in Hamburg, die vom Shanty-Chor der MK Tsingtau Esslingen tatkräftig unterstützt wurde.
In einer E-Mail an Leinen los! schrieb Ulrich Dennerlein, Einzelfahrer im DMB, wie sehr ihn diese kleine Meldung interessiert hat, da er mit einem Handelsschiff 1969 dort im Hafen lag. Seine Erinnerungen möchten wir gerne mit Ihnen teilen:
Im Jahr 1969 fuhr ich als Leitender Inge- nieur auf dem Frachtschiff Willi rickmers nach China. Die typisch grünen Schiffe der
Rickmers-Linie aus Hamburg steuerten seit 1859 chinesische Häfen an. Beim Auslaufen aus den letzten europäischen Häfen hatten wir schon die Liste mit den Zielen in Chi- na. Darunter war Tsingtau, heute Qingdao (grüne Insel), die Hauptstadt des ehemali- gen deutschen Pachtgebiets Kiautschou. Die meisten Besatzungsmitglieder wuss- ten zumindest so viel: Tsingtau, ehemalige deutsche Kolonie. Einige waren gründli- cher informiert und gaben ihr Wissen weiter. Alle waren mehr oder weniger ge- spannt, ob da wohl noch Spuren deutscher Anwesenheit zu finden wären. Ich selbst war vor einigen Jahren schon einmal dort gewesen, hatte aber damals wegen drin- gender Maschinenreparaturen keine Zeit gehabt, mich an Land umzuschauen. Das würde ich diesmal nachholen.
Schiffe, die in chinesische Häfen einlaufen wollen, müssen vorher auf Reede ankern. Dann kommen die Beamten der Einwan- derungsbehörde mit einem Boot heraus,
Straßenbild in Tsingtau. Ob Einkauf oder Spaziergang, stets begleitete uns eine große und fröhliche Kinderschar. Ganz offensichtlich hatten sie vorher nur wenige oder gar keine Europäer gesehen
um die Besatzungslisten und Seefahrtsbü- cher zu überprüfen.
Der Blick von Tsingtau-Reede auf die Stadt erinnerte an eine deutsche Stadt: rote Ziegeldächer und mittendrin die christli- che Kirche, deren zwei Türme denen der Frauenkirche in München ähneln. Beim Landgang sah ich dann, dass die Kirchen- türen mit leichten Stacheldrahtverhau- en versperrt waren. Damals herrschte ja noch der Vorsitzende Mao Tse Tung. Als ich den Strand in östlicher Richtung ent- lang wanderte, kam ich linker Hand an ei- nen Anstieg, der nach einigen 100 m zu ei- nem deutschen Soldatenfriedhof führte. Es war ein seltsames Gefühl, die deutschen Namen und Inschriften auf den Grabstei- nen zu lesen. Der Friedhof machte den Eindruck, als werde er mehr oder minder regelmäßig gepflegt. Ich erinnere leider nicht mehr, ob dort auch Zivilpersonen be- stattet waren. Es wäre doch interessant zu erfahren, wer den Friedhof pflegt.
In die Pier im Hafenbecken waren gegos- sene Bronzeplatten mit großen losen Fest- macherringen eingelassen. Auf den Plat- ten war zu lesen: Kaiserliche Werft. In den Straßen der Stadt konnte man Gullydeckel finden mit deutschen Firmennamen. Das netteste Erlebnis war in einem Seemanns- club, wo ein älterer Ober bediente, der die Kolonialzeit als Kind erlebt hatte und ein wenig Deutsch sprach, aber nur, wenn keine chinesischen Landsleute in der Nähe waren.
Keinesfalls unerwähnt bleiben darf das wohlschmeckende Tsingtao-Bier, das in der ehemaligen deutschen Brauerei ge- braut wird, dem wir gern zusprachen und als Proviant einkauften.
In Tsingtau wie auch in anderen chinesi- schen Häfen konnten die Schiffsbesatzun- gen ohne Einschränkungen an Land ge- hen und sich frei bewegen. Wenn wir in der Stadt spazieren oder einkaufen gingen, lief
Ulrich Dennerlein (r.) im Kreis seiner Kollegen, 1969 an Bord der MS WiLLi rickmers, vor Tsingtau
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MS WiLLi rickmers im Hafen von Tsingtau
immer ein Haufen fröhlicher Kinder hinter uns her. Jedes Wort, das wir ihnen zurie- fen, wiederholten sie lautstark im Chor. Sie mussten wohl bis dahin wenige Europäer gesehen haben.
Lange ist es jetzt her, dass ich auf großer Fahrt war, die Erinnerungen aber bleiben. 7
* Ulrich Dennerlein, geb. 1937, war drei Jah- re freiwillig bei der Bundesmarine, Lauf- bahn Dampftechnik, danach acht Jahre bei der Handelsschifffahrt. Er absolvierte ein Studium zum Dipl.-Ing. (FH) für Schiffs- betriebstechnik (Patent CI) und ist staatl. gepr. Übersetzer für Englisch.
Fotos. Ulrich Dennerlein