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Geschichte
nehmlich als Kreuzfahrtschiff. 1938 wurde der Name auf Steuben verkürzt.
Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Steuben militärisch einge- setzt. Ihr erster Auftrag war im Oktober 1939 die Zwangsumsiedlung Baltendeut- scher aus Estland und Lettland. Anschlie- ßend wurde die Steuben von der Kriegs- marine in Kiel und Danzig als Wohnschiff genutzt. Erst 1944 wurde das Schiff wieder in Fahrt gebracht und diente ab Juli 1944 als Truppen- und Verwundetentransport- schiff in der Ostsee. Nach einer erneu- ten kurzen Verwendung als Wohnschiff wurde die Steuben Anfang 1945 zur Evaku- ierung von Verwundeten und Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten einge- setzt. Bis in die letzten Kriegstage besaß jedoch der Transport von Verwundeten und militärischen Gütern oberste Priorität. Nur wenn an Bord der Transportschiffe noch Platz war, durften Flüchtlinge mitfah- ren. Nicht der Marineführung und Groß- admiral Karl Dönitz, wie häufig behaup- tet, sondern Dienststellen und Einzelper- sonen vor Ort, die oft sogar gegen ihre Befehle handelten, verdankten die meis- ten der Geretteten ihr Leben.
Am 9. Februar 1945 verließ die Steuben mit rund 2800 Verwundeten, 280 Ärzten, Sanitätern und Krankenschwestern, 120 Mann militärischer Besatzung, darun- ter die Bedienungsmannschaften für die Bord-Flak, sowie 160 Mann ziviler Besat- zung und mindestens 900 Flüchtlingen an Bord den Hafen von Pillau. In Beglei- tung des Torpedoboots T 196 fuhr das abgedunkelte Schiff mit Kurs auf Kiel und passierte in der Nacht die pommersche Küste. Die Steuben befand sich gerade in Höhe der Hafenstadt Stolpmünde, dem heutigen Ustka, als sie am 10. Februar 1945 gegen 00:55 Uhr plötzlich von zwei Torpedos getroffen wurde. Das sowjeti- sche U-Boot hatte den Truppentranspor- ter getaucht mit Hilfe des Horchgeräts vier Stunden lang verfolgt. Sein Komman-
Erst im Jahr 2004 wurde das Wrack gefunden und identifiziert
Das Wrack der steuBen wurde komplett geplündert
dant Marinesko meldete per Funk fälsch- licherweise, er habe den Leichten Kreuzer emden versenkt.
Wie im Fall der wiLheLm guStLoFF war die Versenkung der Steuben eine legi- time Kriegshandlung, zugleich aber eine gewaltige humanitäre Katastrophe. Das rasch sinkende Schiff riss unzählige Men- schen mit in die Tiefe. Das Torpedoboot T 196 und das zu Hilfe geeilte Torpedo-
fangboot TF 10 konnten nur etwa 660 Schiffbrüchige aus dem eiskalten Was- ser der Ostsee retten. Dagegen wird die Zahl der Todesopfer auf mindestens 3500 geschätzt.
Insgesamt wurde etwa ein Zehntel der im Frühjahr 1945 für die Evakuierung über die Ostsee eingesetzten Schiffe versenkt; rund 25 000 Menschen verloren dabei ihr Leben. Zu den höchsten Verlusten kam es bei den Versenkungen der Schiffe wiL- heLm guStLoFF, generaL Steuben und goya, bei denen insgesamt rund 20 000 Men- schen starben.
2004 wurde das Wrack der Steuben durch das polnische Vermessungsschiff arc- towSki gefunden und identifiziert. Im Juli 2021 berichtete das Nachrichtenmaga- zin DER SPIEGEL, dass das Wrack mitt- lerweile von skrupellosen Tauchern kom- plett geplündert wurde, obgleich es als Seekriegsgrab unter besonderem völker- rechtlichen Schutz steht. 7
„Einer rief: ,Das Schiff geht unter!‘ [...] Dann fing ich an: ‚Bitte, bitte, lieber Gott. Hilf mir! Die Eltern wissen nicht, wo ich geblieben bin.‘ Aber plötzlich war es, als ob jemand zu mir sagte: ,Du wirst noch nicht sterben.‘ [...] Als ich [im Rettungs- boot] lag, dachte ich: Was hast du da bloß am Bein? Und da sehe ich, daß ich zwei riesige Löcher im Bein habe. Ich habe keinen Schmerz gefühlt, keine Kälte, nichts. [...] Ich konnte meinen Körper nicht mehr halten, ich zitterte, und ich dachte: So, hier wirst du sterben. [...] Dann schrien die vom Begleitschiff: ‚Da ist ne Frau, nehmt die zuerst. Dann haben die mich auf das Schiff gezogen.‘ “
Helene Sichelschmidt über den Untergang der Steuben (DIE WELT, 04. Feb. 2005)
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