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Geschichte
Tod auf See Flüchtlingsschiff SteuBen Jann M. Witt
Seefahrt ist gefährlich. Seit sich der erste Mensch auf das Meer wagte, haben Stürme und Stran- dungen, ebenso wie Kriege und Piraten, zahllose Todesopfer gefordert. Trotz GPS oder Radar ereignen sich auch heute noch Unglücke auf See. In dieser Serie erinnern wir an zehn maritime Katastrophen, die der neuen Ausstellung „Tod auf See” im Marine-Ehrenmal zugrunde liegen.
Teil 9
Am 10. Februar 1945 gegen 00:55 Uhr trafen zwei Torpedos des sowjeti- schen U-Bootes S-13 das mit westlichem Kurs die Küste Pommerns entlang fah- rende Passagierschiff Steuben. An Bord befanden sich über 4200 verwundete Soldaten, Flüchtlinge, Sanitätspersonal und Besatzungsmitglieder. Das Schiff sank innerhalb von 15 Minuten. Nur rund 660 Personen überlebten den Untergang. Zu Beginn des Jahres 1945 war die deut- sche Niederlage nur noch eine Frage der Zeit. Entschlossen setzte die Rote Armee am 15. Januar 1945 zum Schluss- angriff auf das Deutsche Reich an. Der durch das Vorgehen der Deutschen in der UdSSR gesäte Hass schlug nun durch blutige Racheakte der sowjetischen Sol- daten auf die vermeintlichen Verursacher zurück. Unter der deutschen Zivilbevöl- kerung löste der Vormarsch der Roten Armee eine regelrechte Flüchtlingslawine aus. Bis Ende Januar 1945 befanden sich fünf Millionen Deutsche auf der Flucht vor den sowjetischen Truppen.
In einem spektakulären Rettungsunter- nehmen wurden von Ende Januar 1945 bis Kriegsende Hunderttausende auf rund 700 Passagierschiffen, Frachtern, Fäh- ren, Schleppern und Kriegsschiffen über die Ostsee nach Westen, vor allem nach Schleswig-Holstein, evakuiert. Doch die Evakuierung verlief nicht ohne Verluste; auch die Flüchtlingstransporter wurden zu Kriegszielen. Am bekanntesten wurde die Versenkung der wiLheLm guStLoFF am 30. Januar 1945. Kurz nach dem Auslaufen aus Gotenhafen, dem heutigen Gdynia, wurde das mit Menschen vollgestopfte Schiff von drei Torpedos des sowjetischen U-Boots S-13 unter dem Befehl von Alex- ander Iwanowitsch Marinesko getroffen. Die Torpedierung war kein Kriegsverbre- chen, da die wiLheLm guStLoFF als Trup-
1925: Die steuBen noch als müncHen beim Ausbooten
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pentransporter und damit laut Kriegsvöl- kerrecht als legitimes Angriffsziel galt. Der Untergang der wiLheLm guStLoFF forderte mindestens 9000 Todesopfer; nur 1252 Menschen überlebten die wohl größte Schifffahrtskatastrophe aller Zeiten. Nur elf Tage später versenkte Marinesko mit der Steuben ein zweites Flüchtlingsschiff. Die Steuben war am 25. November 1922 als erster Passagierschiffsneubau nach dem Ersten Weltkrieg für die Bremer Großree- derei „Norddeutscher Lloyd“, kurz NDL, auf der Vulcan-Werft in Stettin vom Sta- pel gelaufen. Unter dem Namen mün- chen wurde sie am 5. Juni 1923 in Dienst gestellt und auf der Nordatlantikroute nach Amerika eingesetzt.
Das rund 168 m lange und 20 m breite Schiff wurde von zwei Dreifach-Expan- sions-Dampfmaschinen angetrieben, die auf zwei Propeller wirkten und eine Höchstgeschwindigkeit von 15,75 kn ermöglichten. Die Besatzung bestand
aus 356 Mann. Zudem bot das Schiff Platz für 171 Passagiere der Ersten Klasse, 350 Fahrgäste der Zweiten Klasse und 558 Rei- sende der Dritten Klasse. Anzahl und Ein- stufung der Kabinen wurden in der Folge- zeit jedoch mehrfach geändert.
Ab 1925 fuhr die münchen gelegentlich auch als Kreuzfahrtschiff. Nach einem schweren Brand im Hafen von New York wurde das Schiff in Bremen zwischen Juli 1930 und Januar 1931 grundüberholt. Dabei wurde auch die Maschinenanlage modernisiert, sodass sich die maximale Geschwindigkeit auf 16,3 kn erhöhte. Ebenso erhielt das Schiff als Zeichen deutsch-amerikanischer Freundschaft den neuen Namen generaL Von Steuben, nach einem preußischen Offizier, der im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf der Seite der nach Unabhängigkeit von Großbritannien strebenden Kolo- nien gekämpft hatte. In den folgenden Jahren diente der Passagierdampfer vor-
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