Page 59 - BilD am Sonntag (+01.07.2018)
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BILD am SONNTAG, 1. Juli 2018 BILD am SONNTAG, 1. Juli 2018
SPORT . 11
Los geht’s! Der
Bahnhof von
Wolgograd
morgens um
eins
Zuhause für eine
Ab 4 Uhr früh nimmt der Reporter eine Mütze Schlaf, Nacht: Auf den
die Sonne ist schon aufgegangen oberen Pritschen
schliefen Reporter
und Fotograf
Pause! Auf dem Bahnsteig in Likhaya verkaufen Händler den
Reisenden Obst, Gemüse und Tütchen mit Instant-Kaffee
30 Minuten hält der Zug in Likhaya, die
Passagiere vertreten sich die Beine
Auch diese beiden Mexikaner verbringen
die Zugfahrt zum größten Teil singend
Frühstück:
Schaffner Alladin
verkauft
Schokoriegel,
Kekse und
Instant-Nudeln
Das letzte Stück der zwölfstündigen Fahrt
führt direkt am Fluss Don entlang BamS-Reporter
Kai Feldhaus mit
Schaffner Alladin
Verboten!
Ein Schild
weist beim
Einstieg in
den Zug
Viva Mexiko! darauf
Jose (31) hin, dass
Frischluft: Örn (40, M.), Solvi (39) und und Gilberto Schusswaf-
Reporter am kaputten Zugfenster (62) bereisen fen an Bord
Russland mit verboten
dem Zug sind
Ein Mädchen
reist mit Noch immer schimpfend ver- Im Abteil nebenan singen Jose Als ich erwache, steht der Zug. ANZEIGE
Schoßhund schwindet die Schafnerin in ih- (31), Gustavo (32) und Gilberto (62). Die Sonne scheint hell
(der nicht rem Abteil. Örn zuckt noch einmal Sie sind Mexikaner, die scheinen ins Abteil, die Uhr zeigt Im Abteil
extra zahlen Es fährt ein mit den Schultern. ohnehin die ganze WM durchzu- 9.03 Uhr. Wir sind in Lik-
muss) Er steckt die Nase wieder aus dem singen. Sie fahren zum Spiel ihres haya, die ukrainische riecht
„Waren wir nicht. War schon.“
Grenze ist nicht weit. 30 es nach
Teams gegen Südkorea, den Sieg
Minuten Aufenthalt. Die
Fenster.
da tut ein bisschen beengtes Bahn-
So sieht es aus, wenn russi-
weg. Keine Ahnung, wann länger-nicht-
fahren nicht weh. Sie waren schon
sches Temperament bei voller gegen Deutschland als Rückenwind, Männer unter uns sind Schnaps und
Fahrt auf isländischen Gleich- in Moskau und Sankt Petersburg, sie gegangen sind, wo wir gewaschen Natürlicher
mut trift. alles mit dem Zug. Wie lange sie nachts in der Einöde an-
Die WM in Russland stellt die das noch durchziehen wollen? gehalten haben.
Fans vor viele kleine (Sprache, Ti- „Bis 15. Juli wäre toll“, sagt Jo- Ich klettere aus meiner Koje, tre- Fleischgeschmack
ckets, Fan-ID) und zwei größere se grinsend. Da ist das Finale. te auf den Bahnsteig. Kafee wäre ohne Aromasto e
Nirgendwo de Probleme auf einen Streich. Sie nicht zu denken bei der Hitze. Auf Tütchen Instant-Pulver, 170 Rubel, RINTI KENNERFLEISCH
Wir spazieren weiter durch den
gut. Eine Händlerin verkauft mir
Zug durch Probleme: Flüge sind teuer, Unter-
künfte auch. Mutige Fans lösen bei-
einen Becher Himbeeren und ein
brüllend heißen Zug, an Schlaf ist
etwas über 2 Euro. Alladin ruft, wei-
dem Gang von Wagen 12 trefen
steigen nach einem Spiel in den
wir Örn und Solvi. Island hat ge-
Nachtzug, belegen eine Pritsche
ter geht die Fahrt. Verloren stehe
im Viererabteil, und am nächsten
rade gegen Nigeria verloren, macht
ich mit meinem Kafeetütchen auf
nix, dabei sein ist alles. „Wir Islän-
dem Gang, der Schafner gibt mir
Morgen haben sie den nächsten
Spielort erreicht. Null Komfort, da-
traurig“, sagt Örn, „danach gucken
für sind die Fahrten mit Fan-ID kos- der sind maximal zwei Stunden eine Tasse, zeigt auf ein weißes Un-
getüm: ein Kohleboiler, aus dem
tenlos. wir nach vorn.“ man heißes Wasser zapfen kann.
Draußen ziehen unter sengen-
Flüge sind teuer während der WM, fahren. te Island-Spiel in Rostow, das ist der Sonne Weizenfelder und kar-
Sie haben Karten für das nächs-
BamS ist mutig. BamS ist mitge-
1.16 Uhr ab Wolgograd, Gleis 3.
Hotels auch. Die Lösung? Eine Der Nachtzug nach Rostow-am- aber erst in drei Tagen. Wo pen- ge Gehöfte vorbei. Irgendwo da- fl eisch pur -
nen sie bis dahin? Örn zuckt mit
hinten ist die Ukraine. Irgendwo
nächtliche Bahnfahrt – von einem Don, zwölf Stunden Fahrt. Wagen den Schultern. „Wird sich schon dahinten tobt ein Krieg, von dem getreidefrei
11, Abteil 4, Pritschen 15 und 16, oben
was fnden.“
niemand wissen soll. Bald haben
Zugfahren in Russland ist nichts
Spielort zum anderen. Das ist aller- rechts und links. Im dunklen Ab- für zarte Seelen. Aber es ist was wir den Fluss Don erreicht.
Kurz vor dem Ziel noch schnell
teil sitzen auf den unteren Pritschen
dings nichts für zarte Seelen ... zwei Männer, einer in Unterhose, für Menschen, die das Reisen lie- ein Abschiedsfoto mit dem Schaf-
ner. Im Unterhemd sitzt
einer im Trainingsanzug. Sie
ben. Das Abenteuer, das Ungewis-
Der Schaffner schweigen, als wir das Abteil be- se, die Überraschungen, die das Alladin in seinem Abteil,
erklärt dem kaut Sonnenblumenker- Die Fans
Reporter, wie Nachts um kurz vor drei, irgend- kelheit endlose Weite vorbei. treten. Es ist heiß und stickig, es Reisen mit sich bringt. Die sich trei- ne. Foto? Moment, Tür aus Mexiko
der Kohle-Boiler wo im Süden Russlands, droht Örn, Zopf, roter Bart, versteht riecht nach Schnaps und nach län- ben lassen wollen durch ein Land,
funktioniert die Lage zu eskalieren. kein Wort, zuckt hilfos mit den ger-nicht-gewaschen. mal hierhin und mal dorthin. „Ich ner mit Mütze und singen
zu, heraus tritt der Schaf-
Laut fuchend schimpft die rus- Schultern. Auf der Pritsche liegen Stepp- bin mit dem Zug durch Indien ge-
sische Schafnerin von Wagen 12 „Sie sagt: Ihr habt das kaputt ge- decke und Kopfkissen. Alladin, der fahren“, sagt Örn und blickt auf das Schlips. Er grinst breit. viel und
auf die Isländer Örn (40) und Sol- macht“, übersetzt BamS-Fotograf Schafner von Wagen 11, bringt Bett- kaputte Fenster, „da konnte man Deutschand. Für Özil! träumen vom
„Für meine Freunde aus
vi (39) ein, die mit freien Oberkör- Sergej und deutet auf das Klapp- wäsche. Eilig beziehen wir unsere die Fenster ganz aufmachen.“ Rinti Kennerfl eisch: Fleisch pur - getreidefrei.
Einmal drehen, fenster, das vor den Isländern am Betten, ein bisschen ist es wie bei Es ist nach vier Uhr, als ich in Und Müller!“ WM-Finale Rinti Kennerfl eisch ist reich an natürlichen
schon hat man Boden liegt. Die Schafnerin trom- der Bundeswehr. Dafür muss ich meine Koje krieche. Morgenröte Um 12.28 Uhr errei-
heißes Wasser VO N K AI FE LD H A U S melt mit den Fäusten an die Zug- mich auf das Bett des einen stillen leuchtet am Horizont, der Russe chen wir Rostow. Das Abenteu- Fleischstücken und angereichert mit Flachs-
Öl für eine ausgewogene Balance ungesät-
für den Kaffee wand. Russen stellen, was dieser stoisch unter mir schnarcht. Schlafbrille er ist zu Ende, das nächste be- tigter Fettsäuren, ohne Zusatz von Getreide
pern am Zugfenster stehen und ih- „Sie sagt: Wenn sie mal in euer erträgt. Wir setzen uns zu ihnen, auf, Ohrenstöpsel rein. Ich falle in ginnt. Ein Blick zurück. Alladin und Soja.
re Nasen in den milden Fahrtwind Land kommt, dann macht sie auch bieten ihnen das mitgebrachte Bier einen erschöpften, nassgeschwitz- setzt das kaputte Fenster in Wa- Zur Zeit nicht bei Futterhaus.
halten. Draußen zieht in der Dun- was kaputt.“ an. Sie nicken, trinken, schweigen. ten Schlaf. gen 12 wieder ein.
FOTOS: SERGE Y KOZMIN
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