Page 66 - Bild am Sonntag vom (⭐22 März 2020)

BILD am SONNTAG, 22. März 2020
06 . FUSSBALL
„Ich bin sehr glücklich mit meinem neuen Ich bin sehr glücklich mit meinem neuen
Marcelinho betritt den
Platz bei seinem letz-
ten Spiel als Profi. Mit „
seinem Klub Despor-
tiva Perilima gewann
er 2:1 gegen Centro
Sportivo Paraíbano,
L
Leben – ich bin ein neuer Mensch“eben – ich bin ein neuer Mensch“
wurde zur Pause
ausgewechselt
MARCELINHO, Vor einer Woche geschah das
Unglaubliche: Marcelinho be-
Ex-Paradiesvogel endete seine Karriere.
Der frühere Star von Hertha BSC
von Hertha BSC, ist mittlerweile 44 Jahre alt und
kickte für Desportiva Perilima in
hat mit 44 Jahren der regionalen Meisterschaft des
brasilianischen Bundeslandes Pa-
raíba. Fast 30 Jahre spielte er als
seine Karriere Profi – mal ganz oben, mal ganz
unten. Nun startet er in ein neues
beendet. Vom Leben.
einstigen Reich-
VON SANDRA GOMES
tum ist nichts ge-
blieben, doch da- BILD am SONNTAG: Marcelinho,
Ihr Vater war auch Fußballer.
für hat er etwas Stimmt es eigentlich, dass er ei-
nen Tag vor Ihrer Geburt das
viel Wertvolleres erste Tor in dem Stadion ge-
schossen hat, in dem Sie vergan-
genen Sonntag Ihre Karriere be-
gefunden endet haben?
MARCELINHO: Ja, mein Vater ist
viel berühmter als ich in meiner
Heimat, alle kennen ihn hier in Pa- bis Ende des Jahres. Danach sehen
raíba. Er hat mich immer motiviert
und unterstützt. Ich habe immer
versucht, seinem Beispiel zu fol-
gen.
Was hat er Ihnen geraten?
Hart trainieren, den Fußball lieben
und ein außergewöhnlicher Spie-
ler sein. Das gebe ich auch an mei- spielen. Okay, vielleicht bin ich
nen Sohn weiter: Generation für
Generation soll bei uns auf dem
Fußballfeld stehen. Mein Sohn
spielt gerade bei Desportivo Brasil,
einer Mannschaft aus São Paulo.
Wir waren sogar schon zusammen
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auf dem Feld, bei meinem Hertha-
Abschiedsspiel in Berlin 2017.
Sie sind 44 Jahre alt. Warum ha-
ben Sie jetzt erst aufgehört?
Zu Desportivo Perilima bin ich ge-
gangen, weil ich hier die Chance
habe, nach meiner aktiven Karrie-
re im Trainerstab zu arbeiten. Es
war schon immer mein Herzens-
wunsch, Karriere als Trainer zu
machen. Mein letztes Spiel war
vor einer Woche, am Montag habe
ich schon angefangen, hinter den
Kulissen zu arbeiten. Ich liebe
Fußball und wollte ihn nicht ver-
lassen.
Sie leben seit zweieinhalb Jah-
ren wieder in Paraíba, Ihrer al-
ten Heimat.
Stimmt! Ich habe gute und schlech-
te Zeiten erlebt und deswegen
kann ich vielen helfen, das ist sehr
gut. Ich bleibe auch erst mal hier,
habe einen Vertrag mit Perilima
wir weiter.
30 Jahre Profifußball – welcher
Körperteil tut Ihnen morgens
nach dem Aufstehen eigentlich
nicht weh?
(lacht) Gott sei Dank bin ich in lacht) Gott sei Dank bin ich in lacht)
( (
Topform, ich könnte sogar weiter-
nicht mehr so schnell wie ich da-
mals bei Hertha war. Aber ich ha-
be einen starken Körper. Ich habe Spaßvogel: Marcelinho 2008, als er
nicht aus gesundheitlichen Grün- für Flamengo spielte
den aufgehört, sondern weil ich
mich neu orientieren will.
Na ja, Sie hatten vor zwei Jahren
einen Schlaganfall.
Das stimmt, aber nur 15 Tage da-
nach stand ich schon wieder auf
dem Platz. Die Ärzte hatten mir
eigentlich mindestens einen Mo-
nat Pause verordnet.
H H
Hat dieser Vorfall Ihr Leben ver-at dieser Vorfall Ihr Leben ver-at dieser Vorfall Ihr Leben ver
ändert?
Wissen Sie: Ich habe immer an
Gott geglaubt. Aber nach dieser
Sache haben Gottes Worte mein Das Abschiedsspiel von Marcelinho (2.v. r.) in
Herz erst wirklich erreicht. Des- Berlin fand 2017 statt. Danach wurde gefeiert ...
wegen habe ich heute Frieden und
Ruhe.
Sie haben früher sehr viel Geld
verdient – und auch großzügig
ausgegeben. Wie geht es Ihnen
heute?
Na ja, mir geht es gut. Aber es
stimmt schon: Ich habe ein großes
Herz und war sehr großzügig. Ich
habe sehr viel Geld für Partys mit
falschen Freunden ausgegeben.
Viele waren nur so lange bei mir,
wie ich das Geld verdient habe
und ihnen etwas bieten konnte.
Danach sind viele gegangen.
BILD am SONNTAG, 22. März 2020
SPORT .07
Immer wieder wechselte Und heute? Können Sie denn noch Deutsch
sprechen?
Heute ist alles sehr gut, ehrlich.
Hertha-Zeit (2001 – 2006) Ich habe echten Frieden gefunden, ( (
(lacht) Ein bisschen. Ich verstehe lacht) Ein bisschen. Ich verstehe lacht)
Marcelinho in seiner
ich kümmere mich um meine Fa-
mehr, als ich sprechen kann. Hier
die Haarfarbe milie. Selbstverständlich habe ich in Brasilien ist es schwierig zu
üben. Und ich fand Bratwurst und
auch noch Freunde, aber das sind
echte Freunde, die mich mögen Currywurst super lecker dort.
und nicht nur da sind, um Party zu
machen und zu trinken. Ich bin Derzeit dürfte die Einreise
sehr, sehr glücklich mit diesem schwierig werden wegen Coro-
neuen Leben. Ich bin ein neuer na.
Mensch. Ich bete zu Gott, dass diese Prob-
Und nun werden Sie Trainer? leme bald beendet sind und ich
meine Reise nach Berlin planen
Ich habe sehr viel Erfahrung, stand kann.
fast 30 Jahre auf dem Fußballfeld.
Ich mache jetzt Praktika bei In Berlin waren Sie ein um-
schwärmter Star.
anderen Trainern, sammle neue
Erfahrungen. Als Spieler denkst du Alles ist vergänglich. Erfolg ist gut,
ganz anders als ein Trainer. Alles
aber er darf nicht dein Leben und
wird anders, wenn du die Seite deinen Kopf beherrschen. Ich ha-
be immer versucht, das nicht zu-
wechselst. Ich glaube, ich kann da
zulassen. Aber klar, das ist mir
auch sehr erfolgreich werden.
nicht immer gelungen. Als ich
Sie haben in fast 30 Vereinen ge- ganz oben war und viel Geld ver-
spielt, unzählige Tore geschos- dient habe, habe ich auch viel Geld
sen. Wissen Sie, wie viele? ausgegeben für Partys, Frauen,
Ich habe sie nie richtig gezählt, Trinken. Ich habe vielen Leuten
aber ich vermute, es waren fast geholfen …
400.
Bereuen Sie das? Sie hätten nie
Sie haben in Frankreich, wieder arbeiten müssen, wenn
Deutschland, in der Türkei ge- Sie sparsamer gewesen wären.
spielt – und natürlich in Brasi- Nein, ich bereue nicht, diesen Leu-
lien. Wo hat es Ihnen am besten ten damals geholfen zu haben.
gefallen? Heute würde ich es natürlich ganz
Eigentlich hat es mir überall gefal- anders machen, mit viel mehr Ver-
len. Aber klar: Berlin ist für mich antwortung.
Vater-Sohn-Verhältnis: der frühere wie eine zweite Heimat, und Her-
Hertha-Manager Dieter Hoeneß und tha ist der Verein, den ich am meis- Ihre Frau Estela musste viel – sa-
Marcelinho (2003)
ten schätze in meiner Karriere. Das gen wir mal – Geduld mit Ihnen
waren traumhafte fünf Jahre. haben.
Wohl wahr! Sie war immer bei mir.
Dort sind Sie eine Legende ... Sie ist eine Kämpferin und hat mir
Das war einfach eine geile Zeit. viel geholfen. Viele andere Frauen
Wir waren immer weit oben in der hätten mich an ihrer Stelle verlas-
Tabelle, immer unter den ersten sen, aber sie war immer da, hat im-
fünf – bis auf ein Jahr, in dem ich mer gebetet, immer geglaubt, dass
viel verletzt war. Ich vermisse das. ich mich ändern könnte. Und die-
Ich schaue immer nach den Ergeb- ser Tag ist endlich gekommen.
nissen und in der Tabelle, wie Her-
tha gespielt hat. Ich fühle mit, Berühmt waren Sie auch für Ihre
wenn die Mannschaft verliert und Frisuren und Haarfarben. Was
freue mich, wenn sie gewinnt. tragen Sie heute?
(lacht) Schwarz, meine natürliche
Haben Sie noch Kontakte zu al- Farbe also. Bis vor einem Jahr noch
ten Weggefährten – zu Manager habe ich experimentiert, aber seit-
Dieter Hoeneß zum Beispiel? dem habe ich mich verändert und
Leider nur noch sehr wenig. Ich aufgehört.
würde die alten Gefährten gern
Auf fünf Einsätze kam Marcelinho (hier wiedersehen, auch die aus Wolfs- Fast schade bei den lustigen Fri-
gegen den Chilenen Vargas) in der burg, wo ich ja auch gespielt habe. suren, die Sie hatten.
Nationalelf Brasiliens, alle im Jahre 2001 Der heutige Chef von Hertha ist Ich habe einmal mit einem Freund
Michael Preetz, mein Teamkolle- gewettet, dass ich mir die Haare
ge von damals. Ich mag ihn sehr. blond färbe, wenn wir ein Spiel
Er hat mir schon gesagt, dass die gewinnen. So hat es angefangen.
Türen für mich bei Hertha immer Das hat mir gefallen, und ich ha-
offen stehen. Ich habe vor, wieder be nicht mehr damit aufgehört. In
nach Berlin zu kommen und ein Deutschland fanden es alle cool,
Praktikum bei Hertha zu machen und am Ende war es so eine Art
nach meiner Trainerausbildung in Markenzeichen. Meine Haare wa-
Brasilien. ren rot, blau – sehr viele Farben.
FOTO: IMAGO (2), AFP, JÜRGEN ENGLER, PIXATHLON, REUTERS
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