Page 125 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Ueber die Helligkeitsvariationen der Farben. 113
Ausdruck für die Stärke des durch den Reiz ausgelösten nervösen
Processes, für die Größe des centralen Potentialgefälles. Wir sind
aber dazu berechtigt, die Intensität der Empfindung dem centralen
Potentialgefälle proportional zu setzen, weil wir unter dieser Voraus-
setzung Consequenzen ableiten können, die mit der Erfahrung über-
einstimmen i). Unsere vorhergehenden Untersuchungen zeigen nun,
dass qualitativ verschiedene Farbenempfindungen gleich hell sind,
wenn sie dieselbe Intensität haben, welches wiederum erfordert, dass
die entsprechenden centralen PotentialgefäUe gleich groß sind. Die
Ursache der Helligkeitsvariationen der Farben ist also einfach die,
dass die centralen Potentialgefälle, von Lichtreizen verschiedener
Wellenlänge verursacht, nicht mit einander proportional variiren,
wenn die Reizstärken in einem gegebenen Verhältniss wachsen. Das-
selbe Gesetz, die psychophysische Maßformel, gibt zwar in allen
Fällen das Verhältniss zwischen Potentialgefäll und Reizstärke an,
die in dieser Formel vorkommenden Constanten variiren aber mit der
Wellenlänge des Lichtes. Da wir aber gesehen haben, dass fast alle
diese Constanten einfache Functionen der Steigungscoefficienten der
Farben sind, so wird die Verschiedenheit der Steigungscoefficienten
die Ursache der Helligkeitsvariationen sein. Es fragt sich folglich nur
noch: warum hat jede Farbe ihren besonderen Steigungscoefficient
Die Beantwortung dieser Frage wird uns kaum ernste Schwierig-
keiten bereiten können. Die Größe einer centralen Veränderung
muss ja nämlich von der Größe der photochemischen Wirkung in der
Netzhaut bedingt sein. Nun verhalten sich aber die Lichtstrahlen
verschiedener Wellenlänge wie bekannt sehr verschieden mit Bezug
auf ihre chemische Wirkung, Diese erreicht ihr Maximum zwischen
den Frauenhofer'schen Linien G und H] von hier ab fällt die
Wirkung jäh gegen F, und in dem weniger brechbaren Theile des
Spectrums ist sie äußerst gering. Photographirt man also ein Sonnen-
spectrum auf einer gewöhnlichen photographischen Platte, so erhält
man eine kräftige Wirkung von den blauen und violetten Strahlen,
während die übrigen kaum eine merkliche Wirkung hervorrufen.
Diese Vertheilung der chemischen Einwirkung kann jedoch hoch-
gradig verändert werden, wenn man die Schicht mit gewissen Anilin-
1) Die physischen Aequivalente, S. 185 — 186.
W n n d t , Philos. Studien. XX.