Page 16 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Ludwig Lange.
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       fadenscheinigen und überflüssigen dogmatischen Hülle, die ihn annoch
       verschleiert, in aller Kritik bestanden hat.
          Vielleicht wird es den einen oder anderen Leser überraschen, dass
       ich den Namen P. Volkmann in der obigen Liste nicht aufgeführt
       habe.  Jedenfalls habe ich dieses Verhalten zu begründen, und thue
       das um so lieber,  als  die dadurch bedingte Auseinandersetzung für
       das Nachfolgende von grundlegender Bedeutung sein wird.  In seinen
       einführenden Vorlesungen über theoretische Physik und  analytische
       Mechanik kommt nämlich Volkmann sehr ausführlich auf die grund-
       legenden Fragen zu sprechen; hierbei redet er jedoch den alten New-
       ton'schen Formulirungen auf's Nachdrücklichste das Wort und erklärt
       es u. a., unter Berufung auf L. Boltzmann, »für ein naives, d. h. des
       wissenschaftlichen Betriebes unkundiges Verlangen, Alles definiren zu
       wollen. Nichts undefinirt zu lassen« ^j. Er betont in diesem Zusammen-
       hang, und auch anderwärts, mit einem unbestreitbaren Schein des
       Rechtes den »wiederholten Kreislauf der Erkenntniss« und die »gegen-
       seitige Stützung und rückwirkende Versicherung der einzelnen Theile
       des Systems«').
           Dass man gewisse   (undefinirt bleibende) Elementarbegriffe vor-
       aussetzen muss, um überhaupt im Stande zu sein,   Begriffe höheren
       Ranges zu definiren,  ist zuzugeben und wird schwerlich von irgend
       Jemandem bestritten werden.   Das Streben der Wissenschaft muss
       gleichwohl  allzeit auf fortschreitende fundamentale Abrundung und
       Vertiefung des Begriffsgebäudes  gerichtet  sein; und  der Forscher
       auf diesem ebenso schwierigen als interessanten Gebiete darf sich auf
       keinen Fall eher beruhigen, ehe nicht  die thatsächlich letzten Be-
       griffsfundamente in möglichst klares Licht gesetzt sind.  Welches nun
       diese  letzten Fundamente  seien, darüber können  freilich  die An-
       sichten manchmal auseinandergehen;   doch wird mir jeder moderne
       Forscher beipflichten, dass wissenschaftliche Begriffe, welche als Ele-
       mentar- oder Fundamentalbegriffe angesehen werden wollen, auf jeden
       Fall die Bedingung möglichster Anschaulichkeit, Klarheit und Ein-
       fachheit  erfüllen müssen.  Die Newton'schen Fundamentalbegriffe
       des »absoluten Raumes« und der »absoluten Zeit« erfüllen aber diese
       Bedingungen nicht; und das Recht, sie durch aufklärende Definitionen
       von dem ihnen anhaftenden metaphysischen Dunkel zu befreien, wird
       weder Volkmann noch Boltzmann den verschiedenen G-elehrten,
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