Page 32 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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2Q                         Ludwig Lange.

        zur relativistischen Auffassung aller Bewegungen, auch der drehenden
        Bewegung bekennen"*^).  Ich theile vollständig Mach 's Ansicht, dass
        das von H. Kleinpeter übersetzte Buch     des geborenen Deutsch-
        Oldenburgers, späteren amerikanischen Bürgers und amerikanischen
        Gresandten in Rom,  J. B. Stallo, zu den   vortrefflichsten literari-
        schen Erscheinungen der letzten Jahrzehnte  des  verflossenen Jahr-
        hunderts  zu rechnen  ist.  Den Philosophen  dürfte besonders  die
        Art und "Weise interessiren, wie Stallo den früher von ihm selbst
        innegehabten Hegel 'sehen  Standpunkt   überwindet.  Kleinpeter
        sagt in seiner Prossnitzer Programmschrift kurz und zutreffend:  »Die
        Bedeutung der Stallo 'sehen Klritik  ist nach zwei Seiten hin eine
        tiefgreifende : indem sie den Nachweis von dem Vorhandensein meta-
        physischer Elemente in der modernen Naturwissenschaft führt und
        die verhängnissvollen Folgen dieser wenig bekannten Thatsache ent-
        hüllt,  trifft sie doppelt : die Physik in ihrer heutigen Gi-estaltung gerade
        so wie  die zahlreichen metaphysischen Systeme der Vergangenheit
        und G-egenwart, und beide in gleich entscheidender Weise«  ^sj.
           Als Bundesgenosse gegenüber dem Absolutismus     erscheint mir
        ferner beachtenswerth der amerikanische Astronom  S. Newcomb,
        Verfasser eines der besten populären Handbücher der Himmelskunde.
       Newcomb hat nämlich 1889       in  einer kurzen Notiz darauf hinge-
        wiesen, dass die Ausdrücke »Energie« und »Arbeit« keinen bestimmten
        Sinn haben, solange nicht das Bezugssystem der Bewegung namhaft
        gemacht wird.  Auf die gleiche Thatsache hatte ich bereits 1886 im
        »Bewegungsbegriff« aufmerksam gemacht, wie   es allerdings scheint,
        ohne  viel Beachtung zu finden ^9),  Da ich auf dieses Thema weiter
       unten ^*') zurückkomme, brauche ich hier in keine Erörterungen dar-
        über einzutreten. Auf einige weitere, in mehr oder minder naher Be-
       ziehung  zu  unserer Hauptfrage  stehende Arbeiten  englisch  oder
        französisch schreibender Autoren, die mir nur dem Titel nach bekannt
       geworden sind, kann ich für dieses Mal überhaupt nicht weiter ein-
       gehen^!).
           Hiermit kehre ich zu den Vertretern der deutschen naturwissen-
        schaftlichen Forschung zurück.  Welche Stellung gerade die Natur-
       forschung unserer Tage zu dem Problem des dynamischen Bezugs-
        systemes einnimmt, dies nachzuweisen, ist ja nach dem Titel die Haupt-
        aufgabe des vorliegenden Aufsatzes.  Von dem, was die Philosophie
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