Page 59 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforschung.  47

    von weit höherem Präcisionsgrade ,  als  das  jetzt übliche  heliocen-
    trische Fixstemsystem ihn aufweist, anzuerkennen. Etwa zur Kenntniss
    gelangende Fälle, wo andere Fixsterne zum »höheren heUocentrischen
    Inertialsystem« —  so könnte man das construirte System kurz und
    zutreffend nennen, — nicht geradhnig fortschreiten, sondern vielmehr
    in (stellarastronomisch bemessen) kurzen Zeiträumen von der gerad-
    linigen Bahn abweichen, würden meiner Meinung nach nur den An-
    stoß geben,  in ähnlicher Weise,  wie  es im Gebiet  der Planetar-
    astronomie wiederholt geschehen  ist,  nach ablenkenden Massen zu
    fahnden.  So würde vielleicht auch dem Problem der stellarastrono-
    mischen Massenberechnung früher oder später   eine methodologisch
    sohde Basis gegeben werden können.
       Das höhere heliocentrische Inertialsystem wäre natürlich
    noch nicht die allerletzte Instanz der astronomischen Ortsbestimmung
    und Dynamik. Wünschenswerth wäre es vielmehr, auf das höhere bary-
    centrische  Inertialsystem  des Fixsterncomplexes     zuzusteuern;
    und als oberste, wohl niemals zu verwirklichende Idealinstanz müsste
    das exacte barycentrische Inertialsystem des Universums stets
    im Hintergrund aller unserer Betrachtungen bestehen bleiben.  Rein
    geometrisch betrachtet deckt sich das letztere vollständig mit Newton 's
    »absolutem Baum«; den Nachweis,    dass der Begriff  als solcher ein
    ungleich klarerer, von jeder Mystik entkleideter ist, darf ich mir wohl
    sparen.
       Solange uns die Massen der Fixsterne nicht bekannt sind, werden
    wir uns jedenfalls mit dem höheren heliocentrischen Inertialsystem
    (als höchster zunächst erreichbarer Instanz) begnügen müssen. Auch
    die an fruchtbringenden Ideen überaus reiche Astrophysik hat, soviel
   mir bekannt, bis jetzt keine Methode angegeben, welche mit Aussicht
    auf Erfolg zur Bestimmung der Massen vereinzelt stehender Fixsterne
    herangezogen werden könnte; insbesondere würden die photometrischen
   Methoden doch wohl nur unter Zugrundelegung sehr gewagter Hypo-
   thesen Bückschlüsse auf die Massen der Fixsterne gestatten.
       Wenn   es  übrigens  dereinst gelingen  sollte,  das höhere bary-
    centrische Inertialsystem des Fixsterncomplexes zu construiren,
    so wird sich voraussichtlich für die Translationsrichtung der Sonne
    ein ganz anderer Apex herausstellen, als es der zur Zeit angenommene
   rein phoronomische Durchschnittsapex im Sternbild des Hercules  ist.
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