Page 15 - BestofAargau_Test
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Warum steht der noch?
...fragt man sich nicht nur beim Anblick der schiefen Attraktion in Pisa, sondern bei vielen maroden Bauwerken mit Schlagseite. In Solothurn verspottet der Krumm- turm mit schiefer Haltung seine militärische Herkunft und in St. Moritz und Steckborn steht der kirchliche Segen schief. In ganz Europa stehen solch krumme Dinger und haben eines gemein- sam: Es sind Kulturdenkmäler. Deshalb werden sie mit allen
(oft nicht verfügbaren) Mitteln vor ihrem Fall und Zerfall be- wahrt. 1987 wollten russische Spezialisten den Turm in Pisa geraderücken, zum Entsetzen
der Italiener – wer würde einen aufrechten Turm noch sehen wollen? Arrivederci turisti, dollari, yen, euro, libbra et cetera!
1990 wurde der Turm für Besucher gesperrt. Mit der Hilfe von Schweizer Spezialisten ver- passte man dem Turm ein stählernes Korsett, um die Rissbildung im Marmor zu stoppen und beschwerte später den höheren Teil des Fundaments mit 900 Tonnen Blei, was der Turm mit 10% Verlust seiner unguten Nei- gung verdankte. Ganz aufrecht wollte er nicht werden, was der Vorstellung der Pisani von einer gut funktionierenden Touristenfalle entsprach. Mit Recht, wie Figura zeigt.
Nicht nur an Kirch- und Wehrtürmen na- gen Wind, Wetter und der Zahn der Zeit: Bei näherem Hinschauen benötigen die meisten historisch wertvollen Zeitzeugen Hilfe zum Überleben der nächsten paar Epochen. Diese Hilfe hängt von ihrer Fi- nanzierung ab. Ist diese gesichert, wer- den Leute aktiv, die von der Sache nicht
nur etwas, sondern alles verstehen, was es zu verstehen gibt. Einer dieser Spezi- alisten ist Rainer Kaufmann vom Ingeni- eurbüro Kaufmann & Partner AG in Rup- perswil. Er trägt massgebend bei zur Sanierung und Erhaltung unserer Bur- gen und Schlösser und weiss, wovon der Erfolg abhängt:
Herr Kaufmann, warum werden Sie bei der Sanierung von altem Gemäuer bei- gezogen?
Mein Beitrag beläuft sich bei solchen Sanierungen auf statische Berechnungen, auf das Fachwissen, das meine Ausbildung mit sich brachte, und auf die Erfahrung, die sich im Lauf der Jahre aus der Praxis und im Austausch mit Kollegen aus aller Welt ergeben hat. Es gibt zwei Sorten von alten Bauten. Eine steht auch noch nach Jahrhunderten, das sind die unter Berück- sichtigung aller relevanten Vorgaben – sprich geologische, topografische und wit- terungsindizierte – richtig gebauten. Die zweite sieht man nicht mehr oder nur noch fragmentär, das sind die falsch gebauten.
Wo werden die grössten Fehler begangen?
Bei der Anwendung falscher Baustoffe und bei der Verletzung tragender Ele- mente. Wenn das Fundament oder die
Struktur alter Bauten verändert wird, ist es eine Frage der Zeit, bis sie zur zweiten Sorte gehören. Wo früher Kalkmörtel, Trasskalk etc. verwendet wurden, haben Zement und andere moderne Bindemittel auch im unsichtbaren Teil des Gemäuers aus verschiedenen Gründen nichts zu su- chen. An kritischen Stellen können zur Stabilisierung kaschierte Stahlkorsetts angebracht werden. Im Fokus stehen im- mer zwei Ziele: Den Bau so zu sanieren, dass er wieder in seiner bestmöglichen Pracht dasteht, ohne dass man ihm sein Make-up auf den ersten Blick ansieht, und die Gewährleistung der Sicherheit für alle, die ihm nahe kommen.
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Ingenieurbüro Kaufmann und Partner AG
Obermatt 33, 5102 Rupperswil
Telefon +41 62 897 02 20 Fax +41 62 897 02 34
www.kaufmann-engineering.ch
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