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Ein entspannendes Office-
Ritual: vormittags und nach-
mittags je 5 Minuten Blick in
die Ferne richten, auf den
Atem achten und nichts tun
Gerade in krisenreichen Zeiten wirken Rituale wie ein
­ Therapeutikum. „Wissenschaftler konnten zeigen, dass die
Durchführung von Ritualen Ängste minimiert“, sagt
Dr. Aglaja Stirn, Fachärztin für Psychosomatische Medizin.
„Man tut etwas, hat mehr Kontrolle, weiß um das, was als
Nächstes geschehen wird, kann damit Vorhersagen treffen
und ist dem Geschehen nicht nur hilflos ausgeliefert.“ Diese
Berechenbarkeit und die Hoheit über einen Bereich, so klein
er auch sein mag, beruhigen und geben uns Ausrichtung.
Apropos Ausrichtung: Rituale gestalten auch uns, nicht
nur wir sie. Der Religionswissenschaftler, Zen- und Yoga-
lehrer Michael von Brück meint: „Aufgrund der vielen
medialen Reize wissen Menschen gar nicht mehr so richtig,
was zu ihrer Persönlichkeit gehört und was nicht. Deswegen
sind individuelle Ritualisierungen wichtig, damit ein jeder
wieder das Gefühl dafür erhält, vollständig zu sein. Rituale
sind es, welche die Gesellschaft, die Beziehungen und das
Selbst zusammenhalten.“ Was vielleicht etwas hochtrabend
klingt, lässt sich dabei ganz einfach umsetzen. Hier
kommen Ideen, um den eigenen Alltag von mor-
gens bis abends positiv aufzuladen:
Fokussiert in den Morgen
Wer in letztmöglicher Minute aufsteht, kann
zwar länger schlafen, startet jedoch gleich mit
einem inneren „Zack, zack!“. In diesem Jahr
ein festes Morgenritual zu etablieren, kann da
Wunder wirken. Der Effekt: Ich komme erst
einmal in mir an, bevor ich mich auf das
Außen einlasse. Man muss es ja nicht gleich so
weit treiben wie all die Topmanagerinnen und
-manager, die sich brüsten, schon um halb vier
aufzustehen, um vorm Job noch für einen
Halbmarathon zu trainieren. Egal, ob eine
zehnminütige Meditation, Pilates oder eine
„Rituale schaffen eine
heilige Zeit. Heilig ist
das, was der Welt ent-
zogen ist, worüber die
Welt keine Macht hat.“
Benediktinerpater und
Bestsellerautor Anselm Grün
Runde Tanzen zur Lieblingsmusik – wichtig für das Ritual:
dass man damit etwas Stärkendes für sich selbst verbindet.
Für manche mag es als Ritual schon reichen, den Kaffee vom
ersten bis zum letzten Schluck ganz in Ruhe zu trinken. Oder
als Stoffwechsel-Boost morgens einen lauwarmen Apfel-
essig-Drink zu mixen wie prominente Vorbilder von Jennifer
Aniston bis Victoria Beckham. Immer beliebter wird Eisba-
den als Morgenritual. Inspiriert vom niederländischen
Extrem­ sportler Wim Hof beginnen viele Menschen ihren Tag
damit, gemeinsam bei Wassertemperaturen um den Gefrier-
punkt bis zur Brust ins nächste Gewässer einzutauchen. Der
tiefere Sinn dahinter: Der Körper schreit nach Wärme, indem
man jedoch die Kälte aushält, trainiert man schon morgens
seine Willenskraft. Das soll helfen, Ängste und Stress besser
zu bewältigen. Der Kälteschock setzt zudem nicht nur
Glückshormone frei, sondern stärkt auch das Immunsystem.
Auf eisbaden.de kann man nach Gruppen in der Nähe
suchen, denn zusammen macht die Challenge mehr Spaß.
Achtsam durch den Tag
Im Büro: Weil für die meisten ein Großteil des
Tages aus Arbeit besteht, ist es hilfreich, sich
auch zwischen nine to five ein Ritual einzu-
bauen. Das kann ein persönliches Tagesmotto
sein, das man sich als Notiz an den Bildschirm
klebt und dann auch verfolgt. Etwa: „Besser
zuhören und weniger reden“ oder „Mein
Gegenüber will mich nicht ärgern, sondern
ist vielleicht nur hilflos“. Oder Sie entschei-
den sich, eine einzelne Routinearbeit stets
besonders langsam und achtsam zu ver-
richten – Ihr Antistressritual. Weitere
Ideen: der feste 15-Minuten-Spaziergang
mit einer Kollegin oder nach dem Lunch
fünf Minuten tief ein- und ausatmen.
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