Page 74 - Dez2017
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Wie ein Tier liegt er da, wie ein großes, friedliches Tier, aus dem ein Saft kommt, der aus irgendeinem Grund ganz besonders sein soll. Der Scharzhofberg, eines der wertvollsten Stücke Agrarland in Deutschland. Ein mittelsteiler Hang nur, 100 Meter hoch, 800 Meter breit. Ihn säumt kein Fluss, sondern eine Landstraße. Wüsste man nichts über ihn, man würde achtlos daran vorbeifahren.
Es ist Mai 2015, und um diese Jahreszeit ist der Berg noch braun. An seinem Fuß: das Gut. Ein verwittertes Schlösschen mit einem Schieferdach und sieben Kaminen. Im Karpfenteich versinkt ein blaues Ruderboot. Die Tür des Hauses steht offen.
Ein dunkler Vorraum. Eine Standuhr, die nicht mehr schlägt. Ein Barometer. Ein Ölbild mit bechernden napoleonischen Soldaten.
Und ein schlanker Mann, der jetzt in Joggingschuhen eine Treppe hinunterfedert und dabei murmelt: „Wie ich das hasse.“
Der König des Rieslings hat schlechte Laune.
„Egon Müller ist mit allem möglichen Scheiß konfrontiert“, hatte Stuart Pigott, der Weinkritiker, über den 57-Jährigen gesagt, von dem es heißt, seine Weißweine stünden in einer Reihe mit den großen französischen Weinen des Château d’Yquem oder der Domaine de la Romanée- Conti, heiliger Orte der Weinwelt. Eine Flasche Egon Müller 99er Trockenbeerenauslese vom Scharzhofberg wurde vor fünf Jahren für 5.300 Euro versteigert. Ohne Mehrwertsteuer.
Deutscher Wein, begünstigt von der Klimaerwärmung, ist im Kommen, seit Jahren schon. Riesling hat den allgegenwärtigen Chardonnay von den Speisekarten verdrängt, die Preise der besten deutschen Lagen jagen die der französischen. In Zeiten, in denen Wein all das zugeschrieben wird, was in der globalisierten Welt abhandenkommt – Erdung, ein klarer Begriff von Heimat –, werden Winzer wie Künstler gehandelt. Ganz oben: Egon Müller IV., Spross einer Familie, die ihre Söhne nummeriert wie Könige. In der Weinwelt eine Legende, dem gemeinen Volk fast unbekannt.
Interviews gibt er nur selten, er sei verschlossen, heißt es über ihn, vielleicht arrogant, vielleicht ein bisschen autistisch. Einmal hat er sich geöffnet, 2002 in der Zeitschrift Enology
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