Page 268 - Asian Art December 7 to 8 2018 Lempertz (German Text)
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KERAMIK AUS DER SAMMLUNG FRIEDRICH OTTO HASSE (LOT 862-877)
            Ein seltener Ge-Teller in Hibiskus-Form







            Das craquelierte Steinzeug der Südlichen Song-Dynastie   und Ge zu den meistkopiertesten Antiquitäten, an die Qualität
            (1127-1279) umgibt seit Jahrhunderten eine Aura des Geheim-  der Originale reichten diese jedoch selten heran.
            nisvollen. Connaisseure der Yuan- und Ming-Zeit lobpreisten
            seine Schönheit und Eleganz in Texten und Gedichten und   Der hier nun zur Auktion stehende Teller ist zweifellos eines
            erwähnten Produktionsorte, auf deren Entdeckung die Kera-  der seltensten chinesischen Steinzeuge, die jemals in Deutsch-
            mikforschung lange warten musste. Erst gegen Ende des 20.   land gesammelt wurden. Er weist sowohl Eigenschaften der
            Jahrhunderts entdeckten Archäologen die Ruinen der legendär-  Guan-, als auch der Ge-Ware auf, kann je nach Standpunkt des
            en Xiuneisi-Öfen in Laohudong und der Jiaotanxia-Öfen nahe   Betrachters der einen oder der anderen Ware zugeschrieben
            Hangzhou und bargen dort umfangreiches Scherbenmaterial   werden. Aufgrund seiner Ähnlichkeit in Form und Glasur zu
            der Guan-Ware. Dessen längliche Craquelierungen wurden   Vergleichsstücken in der jüngsten Ausstellung von Ge-Waren
            absichtlich durch Kühlung nach dem Brand erzeugt und gerne   im Palastmuseum ist stark anzunehmen, dass er aus dem
            mit der Form einer Krabbenschere verglichen. In direkter   Ge-Ofen der Südlichen Song oder Yuan-Zeit stammt. Die sehr
            Verwandtschaft zur Guan-Glasur steht die engmaschiger   dichte Craquelévariante wird in der Literatur auch als „Hun-
            craquelierte Ge-Ware, bei der man die Rissmuster zusätzlich   dertfacher Bruch“ (bai ji sui) bezeichnet und mit den Rissen in
            mit Farbpigmenten akzentuierte. Laut Ming-zeitlichen Annalen   einer antauenden Eisfläche zum Frühlingsbeginn assoziiert.
            stammt sie aus dem noch unentdeckten Brennofen des „älteren   Gelbliches Craquelé, den sogenannten “Goldfaden“, weist das
            Bruders“ (Ge) der Gebrüder Zhang, welche während der Südli-  Muster nicht durchgehend auf, sondern nur in einigen Stellen
            chen Song-Zeit in der Gegend um Longquan aktiv waren.   der Rückseite. Die opake cremefarbene Glasur ist auf dem
                                                              ganzen Stück sehr einheitlich, was als Merkmal hoher Qualität
            Unter Forschern und Sammlern haben viele kontroverse Dis-  erachtet wird. Der Tellerrand hat die klassische Form einer
            kussionen darüber stattgefunden, wo die Trennlinie zwischen   sechsblättrigen Hibiskusblüte, welche der Qianlong-Kaiser in
            Guan- und Ge-Ware verläuft und welche Ware wo gebrannt   einem Gedicht als Symbol der Loyalität betrachtet. Genau wie
            wurde. Selbst in den 22 Gedichten, die Kaiser Qianlong (1711-  mehrere Pendants in den Palastmuseen und der Percival David
            1799) der Ge-Ware widmete, findet man dazu widersprüchliche   Foundation ist der Lippenrand in einen feinen Metallring
            Aussagen. Um Ordnung in die Erkenntnisse zu bringen, die   gefasst, was, wie der glasierte Fußring, als Hommage an die
            bislang anhand der erhaltenen Exemplare, archäologischen   Ru-Ware der Nördlichen Song-Zeit interpretiert werden kann.
            Funde, historischen Texte und Malereien sowie technisch-na-  Der dunkelbraune Steinzeugscherben zeigt sich an den fünf
            turwissenschaftlichen Analysen gewonnen werden konnten,   „Eisennägeln“ (tie ding), den unglasierten Spuren am Boden,
            organisierte das Palastmuseum in Beijing im November 2017   wo sich die Brandstützen befanden, und auch am Fußring
            ein Symposium zur Ge-Ware, an dem Experten führender chi-  schimmert er leicht purpurfarben durch die Glasur hindurch,
            nesischer Institutionen und einige Forscher aus Japan, Korea   wie es bei anderen Ge-Stücken an der Lippe der Fall ist.
            und den USA teilnahmen. Bereits 1992 fand im Shanghaier
            Museum eine Konferenz zur Ge-Ware statt, die nun angesichts                        Daniel Suebsman
            zahlreicher neuer Forschungsergebnisse erneut erforderlich   Literatur:
            wurde. Professor Geng Baochang, der Konferenzleiter und mit   The Complete Collection of Treasures of the Palace Museum:
            95 Jahren Chinas erfahrenster Keramikforscher, fasste dort   Porcelain of the Song Dynasty, Vol. 2, Beijing 1996, S. 99
            fünf charakteristische Merkmale zusammen, denen er bei sei-  Pei-Chin Yu, „The Qianlong Emperor’s Appreciation of Ge
            nen eigenen Untersuchungen der Ge-Keramik begegnete: ein   Ware and Relevant Issues“, in: Transactions of the Oriental
            schwarzer oder dunkler Scherben; Gefäßformen nach Bronze-  Ceramic Society, 2011-12, S. 19-30
            vorbildern; „Lila Mund und Eisenfuß“ (zi kou tie zu), womit   National Palace Museum, Catalogue of the Special Exhibition
            ein dunkler Fußring und der durchschimmernde Scherben an   of Sung Dynasty Kuan Ware, Taipei 1989, Nr. 118-124
            der Lippe gemeint ist; eine glasig-fettige, opake Glasur, ähnlich   Shelagh Vainker, “Ge Ware Conference Report: Symposium of
            der Oberfläche von Reisbrei; schließlich „Goldfaden und Eisen-  Ge Ware, Shanghai Museum, October 1992”, in: Oriental Art,
            draht“ (jinsi tiexian), ein bildhafter Vergleich für zweifarbige   Band XXXIX, Nr. 2, 1993, S. 5-11
            Craquelés. Geng schätzt die Zahl der weltweit erhaltenen ori-  Gugong Museum (Hg.), Geci ya ji. Gugong Bowuyuan zhencang
            ginalen Ge-Keramiken auf circa 200 und verwies darauf, dass   ji chutu Geyao ciqi huicui/Selection of Ge Ware. The Palace Mu-
            sie alle aus der ehemaligen kaiserlichen Sammlung stammen,   seum Collection and Archaeological Discoveries. Beijing 2017
            einige davon zum Ende der Qing-Zeit über den Beijinger Anti-
            quitätenmarkt in chinesische und internationale Sammlungen
            gelangten. Während der Ming- und Qing-Zeit zählten Guan






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