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GESUNDHEIT UND GENETIK | SCHMERZEN BEIM HUND
tenden Gelenk- oder Wirbelsäulenerkrankungen und bei Tumoren auf oder auch als Folge von nicht behandelten aku- ten Schmerzen. Eine zentrale Chronifizierung entsteht durch den Verlust einer absteigenden Schmerzhemmung auf der Ebene des Rückenmarks und im Gehirn. Nervenzellen sind hochsensibel und lernfähig, und durch anhaltende oder stän- dig wiederkehrende Schmerzreize kommt es zu einer Überer- regung des Nervensystems, es entwickelt sich ein „Schmerz- gedächtnis“.
Unter Schmerzgedächtnis versteht man die dauerhafte Manifestierung des Schmerzes im Bewusstsein. Diese Schmerzform hat keine Alarmfunktion mehr. Häufig sind auch die Ursachen des chronischen Schmerzes nicht mehr vollstän- dig erklärbar und auch nicht heilbar. Es entsteht ein eigenes Krankheitsbild, der Schmerz wird selbst zur Krankheit.
Unbehandelte chronische Schmerzen können für die betrof- fenen Tiere zu einem quälenden Leiden werden und die Lebensqualität stark einschränken. Hier gilt es, die Lebens- qualität durch geeignete Therapien wiederherzustellen und zu erhalten.
Chronische Schmerzen sind bei Hunden nur durch genaue Beobachtung zu erkennen. Da sich der Schmerz über einen langen Zeitraum (Monate oder Jahre) entwickelt hat, hat sich das Verhalten des Hundes ganz allmählich und für seinen Besitzer oft nicht wahrnehmbar verändert. Alles, was wir bei einem Hund wahrnehmen können, ist lediglich seine Reakti- on. Wie stark seine Schmerzen wirklich sind, bleibt uns ver- borgen. Wichtig für Sie als Hundehalter ist es zu wissen: Je länger die Schmerzen anhalten, desto mehr verändern sich die aufnehmenden und weiterleitenden Prozesse im Körper, was dazu führt, dass die Schmerzen immer schlimmer werden.
Durch fehlerhafte Regulationen der Bewegungsmuskulatur können Schmerzzustände hervorgerufen werden. Die Muskula- tur kann sich durch akute Schmerzen verspannen. Jeder, der schon mal Rückenschmerzen hatte, wird das bestätigen. Aber auch eine übermäßig angespannte Muskulatur kann Schmerzen auslösen, weil Nozizeptoren in Muskeln, Sehnen und Gelenken erregt werden. Dieser Schmerz wird häufig nicht erkannt, weil er durch bildgebende Verfahren (Röntgen, CT, MRT) nicht dar- gestellt werden kann. So kann manchmal auch ein „Teufelskreis“ entstehen: Muskelanspannungen führen zu Schmerzen, Schmerzen führen zu Muskelverspannungen. Der Muskel- schmerz kann nicht gelindert werden und wird damit ein großer Risikofaktor für die Entstehung von chronischen Schmerzen.
SCHMERZBEINFLUSSENDE FAKTOREN
Unter extremem seelischen oder körperlichen Stress werden vom Gehirn körpereigene Stoffe, die sogenannten Endorphi-
ne, ausgeschüttet. Darüber ist es möglich, dass die Wahrneh- mung von Missempfindung und Schmerzen komplett ausge- schaltet wird. Bei extremen Verletzungen, wie sie zum Beispiel bei einem Unfall entstehen, wird durch die Endorphinaus- schüttung erklärt, warum das Unfallopfer im ersten Moment keine Schmerzen spürt und die Schmerzen erst später wahr- nimmt. Dies ist eine natürliche Schutzreaktion des Körpers, um in extremen Situationen handlungsfähig zu bleiben.
Bei der Wahrnehmung und dem Erleben von Schmerzen sind unterschiedliche Faktoren von Bedeutung. Wie ein Schmerz wahrgenommen wird, ist nicht nur von inneren, im Körper ablaufenden Prozessen abhängig, sondern es findet auch eine Beeinflussung durch äußere Faktoren statt. Zu jedem Zeitpunkt sind wir sehr vielen Einflüssen ausgesetzt, wobei das Nervensystem aufgrund seiner begrenzten Kapazi- tät aus der Vielzahl von Reizen auswählen muss. Nehmen wir als Beispiel einen humpelnden Hund, der, weil er sich akut vertreten hat, nur auf drei Beinen läuft. Nun trifft er seinen besten und liebsten Spielkumpel und vergisst bei der Tobe- runde, dass ihm sein Bein wehtut. All seine Aufmerksamkeit ist auf „Spielen“ ausgerichtet, also vom Schmerz weggerichtet, und im Moment des Spielens nimmt er den Schmerz auch nicht wahr, der Schmerz ist ausgeblendet. Umgekehrt gibt es aber auch die Situation, wo all die Aufmerksamkeit auf den Schmerz gerichtet sein kann, beispielsweise, wenn der Hund gelangweilt in seinem Korb liegt und die ganze Konzentration, weil die Ablenkung fehlt, auf den Schmerz gerichtet ist.
Jeder, der schon einmal Zahnschmerzen hatte, kennt das Phänomen. Tagsüber kann man die Schmerzen gut ertragen, in dem Moment, wo man im Bett liegt und schlafen möchte, werden die Schmerzen quälend und lassen einen kein Auge zutun. Weiterhin hängt das Schmerzerlebnis auch von frühe- ren Erfahrungen ab, es wird also auch durch Lernvorgänge bestimmt. So lernt der Hund sehr schnell, bestimmte, beson- ders schmerzhafte Situationen zu vermeiden, wie der Sprung ins Auto oder das Hochsteigen einer Treppe, weil er gelernt hat, dass diese Bewegungen besonders wehtun. Andersrum gibt es auch die „erlernte Hilflosigkeit“. Hier hat der Hund kei- nerlei Kontrolle über das Schmerzgeschehen, er fühlt sich der Situation hilflos ausgeliefert und kann den Schmerz über- haupt nicht durch bestimmte Vermeidungsstrategien verhin- dern. Diese Situation liegt vor, wenn beispielsweise bestimm- te Bewegungen urplötzlich einen starken Schmerz auslösen, zum Beispiel, der Hund dreht sich im Schlaf und wird von einem starken, stechenden Schmerz wach, was in der Regel auch mit einer deutlichen Lautäußerung kundgetan wird. Die- sen plötzlich auftretenden und immer wiederkehrenden Schmerz kann der Hund durch sein Verhalten nicht verhindern.
Wir haben, in Anlehnung an das menschliche Konzept, Fak- toren zusammengetragen, die einen Einfluss auf das Schmerz-