Page 14 - Altes_Sackblatt (Sept. 2021)
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über
Furtum usus
reunde, manchmal frage ich
Fmich: Warum schreiben Leu- T Tr ra ak kt ta at t über d de en n Furtum usus
te Bücher, von denen die Welt
Kognitionen anderer
gar keine will? Wir leben in der p pr ro op pr ri ie et tä är re er r Kognitionen anderer
XXL-Gesellschaft, alles ist riesig,
nicht nur das Schnitzel und der
Hamburger, alles muss größer, nicht ganz selber schreiben, äh, „Warum schreiben Politiker Bücher?“
wichtiger – und billiger sein. schreiben lassen oder abschrei-
Buchautoren sind inflationär. ben?
Jeder der schon drei halbwegs Mir drängt sich da ein Verdacht
gerade Sätze in Facebook oder auf, den ich nicht selbst formu-
Twitter ejakuliert hat, hält sich liert habe:
schon für einen Autor. Wenn er „Die Eitelkeit, mehr zu wissen
dann noch ein Handy-Foto dazu als andere, ist vielleicht neben
publiziert ist ja gleich auch ein dem Hunger überhaupt der ein-
ganzer Investigativ-Journalist zige Anstoß zum Schreiben
fertig. oder wenigstens zum Veröf-
Auf der Frankfurter Buchmesse fentlichen eines Buches“. Sehr
erscheinen jährlich so viele zeitgemäß formuliert, finde ich.
Bücher, dass man täglich 200 Das Zitat stammt übrigens von
davon lesen müsste, um mit Henry Fielding (1707 - 1754),
allen Neuerscheinungen bis zur einem englischen Richter und
nächsten Buchmesse fertig zu Verfasser von Sittenromanen.
sein. Rundum klagen jedoch die Das leuchtet ein. Im großen
Pädagogen, dass ihre Klientel Nachbarland das mit uns die
immer weniger in der Lage ist, trennende Sprache teilt (nach
sinnerfassend lesen zu können. Karl Kraus), dämmert der Wahl-
Ähm, wer soll denn dann die kampf.
200 Schinken pro Tag lesen, Die Amazone von Halm und Partei als Kronprinz den Pau-
wenn die Kunst des Lesens Samen, Jeanne d’Arc der Fuß- senclown zu geben.
immer mehr verkommt? Das gänger und Radfahrer, hat sich Das nächste Wahlkampfopfer
Buch wird zum Statussymbol, mit „ihrem“ Buch in den Wahl- auf dem Altar der Eitelkeiten ist
jeder braucht es, auch wenn er kampf hineingeläutet. Mit knar- der blubbernde Bergmanns-
es verkehrt herum auf das rendem Charme geht sie nun sohn und Bonsai-Cherusker aus
Mömax-Bücherregal stellt, weil von einem Canossa zum ande- Nordrhein-Westfalen, der seine
er ohnehin nicht lesen kann, ein ren, sprich investigativen Inter- Gesichtsmuskeln nicht immer
Buch muss her – sogar der view, um ihre Abschreibungen im Griff hat. Auch in seinem
Trend zum Zweitbuch ist allent- im „Bestseller“ und die doch Bestseller, „Die Aufsteigerrepu-
halben schon erkennbar. nicht so überbordenden Bil- blik“, sollen – laut „Spiegel“ –
Die Bildungsquellen liegen heu- dungsdaten in ihrem Lebens- mindestens sechs Textstellen
te nicht mehr im haptischen lauf zu erklären. Ihr Fazit: (darunter eine Rede des Polito-
Buch, die Bildungsquellen sind „Pater peccavi“ (Vater, ich ha - logen und unionspolitikers
eben Facebook und Twitter, be gesündigt), aber man muss Hans Maier) sich wortgleich als
TicToc und WhatsApp, Youtube doch das große Ganze sehen, „Eigenleistung“ wiederfinden.
und Netflix nicht zu vergessen. das die Grünen zur Rettung der Auch dieser Wahlwerber macht
und so sieht der Bildungsbür- Welt sich von uns allen in Euro- natürlich den Kotau vor der ver-
ger dann auch aus. pa jetzt bezahlen lassen wollen. sammelten Presse. Der Effekt
Ja, und jetzt drängt sich – aus Daneben steht ruhig und kondi- für seine Partei zeigt sich im
gegebenem Anlass – die Frage tioniert ein Mann (leider), gra- umfragebarometer. Ein Glück,
auf, warum bei einem aufge- duierter Philosoph, Germanist dass Merkel noch lebt, sonst
blähten Buchmarkt und einer und Philologe, der schon meh- würde sie kräftezehrend in der
immer kleiner werdenden re, erfolgreiche (belletristische) Gruft rotieren.
kognitiven Leserschar, just Spit- Bücher selber geschrieben und Der Fairness halber sei (als Ösi)
zenpolitiker Bücher und publiziert hat, und den jetzt ein nicht verschwiegen, dass wir
Diplomarbeiten schreiben, äh, Teufel geritten hat, in dieser auf unserem Schnitzeläquator
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