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Julius Fromm brachte die Kondome unter dem Namen „Fromms Act“ auf den Markt, der Briefbogen zeigt die Produktionsstätten
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von Björn Berghausen (BBWA)
V or 140 Jahren, am 4. März 1883, kam der Erfinder des ersten Markenkondoms als Israel Fromm im jüdischen Viertel des polnischen Städtchens Konin zur Welt.
Mit seinen Eltern zog er 1893 nach Berlin ins ärmli- che Scheunenviertel. Sein späteres Abendstudium der Chemie finanzierte er mit dem Zigarettenver- kauf, experimentierte ab 1912 mit Naturkautschuk und eröffnete 1914 das „Fabrikations- und Ver- kaufsgeschäft für Parfümerie und Gummiwaren Israel Fromm“. Das Ergebnis seiner Versuche, bei denen er Glaskolben in verflüssigten Kautschuk tauchte, waren transparente, dünnwandige Prä- servative – ohne Naht! Diese Innovation war den herkömmlichen Kondomen weit überlegen, ins- besondere den Kautschukpräservativen aus dem Hause Goodyear, denen man anmerkte, dass mit diesem Namen eher die Erfindung des Gummi- reifens verbunden war.
1916 kamen die „Fromms Act“ als erstes Mar- kenkondom der Welt auf den Markt – und gleich in Millionen Soldatentornister. Der reißende Absatz korrespondierte mit der Qualität der „Frommser“,
Kondome im Krieg
„Fromms“ – wer kennt die nicht? Die Geschichte des Erfolgsprodukts begann 1916. Dahinter stand ein jüdischer Berliner Unternehmer, den die Nazis zu Verkauf und Flucht zwangen
die vor Verkauf geprüft wurden und eben nicht rissen. Während die Konkurrenz sich aus Sorge vor Haftung bei Produktversagen hinter Fantasi- enamen („Ramses“, „Mikado“, „Viola“ oder „Uncle Sam“) versteckte, haftete Julius Fromm, wie er sich inzwischen nannte, mit seinem Nachnamen für ein Produkt, das bei Fehlfunktion erhebliche Fol- gen haben konnte. 1926 verkaufte Fromm 24 Mio. Präservative, der Umsatz brach auch während der Wirtschaftskrise nicht ein, denn in Krisenzeiten gilt nicht nur: Gestorben wird immer. 1929/30 ent- stand in Köpenick eine Vorzeigefabrik, entworfen von Arthur Korn und Siegfried Weitzmann und in der Welt der Architektur hochgelobt.
1933 geriet Fromm ins Visier der Nazis, die von Anfang an alle Juden aus dem Wirtschaftsleben verdrängten. Die Hakenkreuzfahnen in der Fabrik oder der anlässlich der Olympischen Spiele 1936 als Werbegeschenk verteilte „Nahverkehrsplan“ schützten Fromm nicht, zumal sich 1938 Hermann Göring selbst einschaltete: Er regelte den Verkauf an seine Patentante, die dem Reichsjägermeister im Gegenzug zwei Burgen schenkte. Julius Fromm und ein Großteil seiner Familie emigrierten nach London. Fromm starb vier Tage nach Kriegsende am 12. Mai 1945 im Londoner Exil.
Nach dem Krieg kam die zweite Enteignung, die anschaulich in dem Buch „Fromms“ von Götz Aly und Michael Sontheimer dargestellt wird: In der Sowjetischen Zone wurden der Familie die Fabriken unter anderem mit der Begründung entzogen, Julius Fromm sei „Kriegstreiber“ und „Naziaktivist“ gewesen. Die Markenrechte wie- derum waren nach Österreich gekommen, von wo der Erbe von Görings Patentante in einem Vergleich mit Fromms Söhnen 1951 das Maxi- mum herausschlug. Die Produktion war schon 1947 – unter Anschub der britischen Alliierten – in Zeven wieder aufgenommen worden, während die volkseigenen Fabriken in der DDR Präserva- tive der Marke „Mondos“ produzierten. ■
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