Page 23 - Christliche Friedhöfe unter dem Dach des Immateriellen Kulturerbes
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einem christlichen Friedhof wird nicht nur erfahrbar, dass wir Menschen endlich sind. Zugleich werden wir an die Unend- lichkeit Gottes erinnert: Das zeitlich und räumlich so begrenzte menschliche Leben ist umgeben und aufgehoben von der Ewigkeit Gottes.
Dessen bewusst zu werden, kann sehr tröstlich und entlastend sein: Ich sehe ein, wer ich bin, und ich schaue weit über mich hinaus zu dem, der mich ins Leben gerufen hat. Vor ihm kann ich demütig sein, meine Grenzen anerkennen und Dankbarkeit empfinden für das, was mir geschenkt wurde und was möglich ist. Der Gang über einen christlichen Friedhof ermöglicht so Endlichkeits- und Unendlichkeitserfahrung zugleich – so wie der Blick vom Strand auf ein weites Meer, von einem Gipfel in die Ferne oder nachts in den Sternenhimmel.
Die menschliche Ohnmacht angesichts des Todes wird in den Riten, Symbolen und Gebeten der christlichen Friedhofs- kultur und der Trauernden-Seelsorge benannt und zugleich aufgebrochen. Zu einem christlichen Abschied von einem verstorbenen Menschen gehört so auch die Suche nach Versöhnung und innerem Frieden. Nur wenn man miteinander im
Reinen ist, kann man gelassen und dankbar auseinandergehen. Wenn Versöhnung und Dankbarkeit mit einem Trauergottesdienst oder dem Besuch eines Grabes ver- bunden sind, wird der christliche Friedhof auch zu einem Ort des Friedens.
Der tote Leib des Menschen ist nach christlichem Verständnis nicht nur eine Hülle, sondern gehört wesentlich zu seiner Personalität. In einer pietätvollen Bestattung bezeugt der christliche Glaube die Würde der Schöpfung. Christliche Trauer und christliches Toten-ge- denken brauchen dabei den konkreten Ort und konkrete Zeichen der Auferstehungshoff- nung - wie die Namensnennung am Grab auf dem Friedhof.
Christinnen und Christen glauben: Die Verstorbenen leben in ihrer einmaligen Identität jetzt in Gott und bleiben zugleich den Hinter- bliebenen auf neue, andere Weise real nahe. Die christliche Friedhofs- kultur macht diesen Glauben sicht- und erfahrbar.
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