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Wo ist gastronomische Kultur zu Hause?
ser Hinsicht besser aussieht: Das „Ländle“ Baden-Württem- berg und insbesondere in ihm die Region Hohenlohe mit ih- rer deutschlandweit größten Dichte an Ökolandbaubetrie- ben (östlich der A 81 an Jagst und Kocher) bezeichnet sich als „Genussregion“, wo der Re- staurantbesuch als auf Augen- höhe liegend mit dem Konzert- oder Theaterbesuch angesehen wird, wo das Schmecken und Riechen also gleichberechtigt ist mit dem Hören und Sehen. Besonders hier – das darf man sagen – ist die gastronomische Kultur zu Hause. Davon hat sich Sabine Woydt inspirieren las- sen und hat – ganz in der Nähe (an der Hochschule zu Heil- bronn) – den (dualen) Studi- engang für Food Management und Kulinaristik entwickelt. In ihn werden fähige Mitarbeiter
von Betrieben der Gastronomie entsandt, um sich hier in punc- to Qualitätsentwicklung umfas- send weiterbilden zu lassen.
Ich bin hoch erfreut und auch ein bisschen stolz, diese kompe- tente Professorin dafür gewon- nen zu haben, im Rahmen eines (ersten) „Kulinariums“ in der Ohlendor ´schen Villa – un- entgeltlich – über ihre Herzens- angelegenheit zu referieren, nämlich mittel- bis langfris- tig mit ihren Studentinnen und Studenten eine Qualitätssteige- rung in gastronomischer Nach- haltigkeit zu entwickeln. Auf diese Weise kann es gelingen, bewusstseinsbildend zu genie- ßen und damit eine neue Seite der Genusskultur aufzuschla- gen. Vielleicht wird man dann eines Tages sagen können: Das Beste am Norden – unsere Lo- kale und ihr Essen!
(Und ich bemühe mich darum, diesen Schritt zu einem guten Ziel nicht scheitern zu lassen an einem Mangel an Interesse oder Zuspruch, sondern möch- te gern erreichen, dass das (ers- te) KK-Kulinarium in der „Villa“ zu einem – wenn auch vielleicht bescheidenen – Erfolg führt und nach Möglichkeit auch Fol- geveranstaltungen ähnlicher Art nach sich zieht. Ich ho e immer noch, dass Bettina Hal- ler, das Team im Wiener Ka ee- haus, der Kulturkreis und mög- licherweise auch andere Betrie- be „mitspielen“ werden.)
VON WULF DENECKE
„In Deutschland nicht“,
hat vor bald 50 Jah- ren Wolfram Siebeck mit ei- nem gewissen Recht behaup- tet und machte sich nach seiner Zeit als Zeichner und berühm- ter Satiriker ganz ernsthaft auf, seine Karriere als Gourmet und Gastrokritiker zu planen. Seit- her hat sich vieles getan in die- sem Land, und Siebeck hat dazu nicht zum kleinsten Teil beige- tragen: Die Gastronomen ertei- len ihren Kritikern keine Haus- verbote mehr, die Ökoszene hat sich in der gesamten “Wert- schöpfungskette“ vom Erzeuger bis zum Einzelhändler bewegt, die Fernsehsender überschla- gen sich mit Kochsendungen al- ler Couleur und die Zahl enga- gierter Hobbyköche ist ins Un- ermessliche gestiegen. Voilà!
Wenn man aber den Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit jus- tiert, dann sieht es gleich ganz anders aus: Im Bereich der Sterneköche ist es wohl die Qualität der Speisen und Zu- taten und ihre Kreativität, die zur Auszeichnung führen – das Thema Nachhaltigkeit dage- gen spielt bei der Beurteilung kaum eine Rolle, und das, ob- wohl das Wort Kultur doch sei- nen Ursprung im Landleben hat und dort noch heute von Warmhaus- oder Gemüsekul- turen die Rede ist. Und in der Landwirtschaft wird sich durch die Erhaltung der Bodenfrucht- barkeit, der Qualität ihrer von Kontaminationen unbelaste- ten Produkte, in der artgerech- ten Tierhaltung und dem Ver-
braucherschutz unsere Zukunft ganz gewiss in höherem Maße als in der Theater- oder Musik- kultur unserer Zeit entschei- den.
Zumal im Blick auf den ge- wöhnlichen Gast unserer gas- tronomischen Betriebe o en- bart sich das allgegenwärti- ge De zit unseres Umweltbe- wusstseins: Wer bekümmert sich um die Herkunft der Zu- taten der im Restaurant be- stellten Speisen, selbst wenn er längst so weit ist, für den ei- genen Einkauf genauer dar- auf zu achten, nämlich regio- nal und kontrolliert ökologisch erzeugte sowie fair gehandelte und zerti zierte Waren einzu- kaufen? Wer studiert die Spei- senkarte seines professionellen Gastgebers in dieser Hinsicht? Und wie erklärt sich die er- staunliche Di erenz, dass zwar angeblich über die Hälfte der Bevölkerung die Massentier- haltung ablehnt, der Anteil des auf den deutschen Markt gelan- genden Bio eisches jedoch bei knapp zwei Prozent liegt? Der inzwischen bei 10 % liegende Teil der Vegetarier (von denen wiederum 10 % als Veganer le- ben) erklärt diese Di erenz je- denfalls nicht. In der Tat gibt es einige wenige Betriebe in der Gastronomie, die sich voll und ganz der Nachhaltigkeit ver- schrieben haben (und die auch von „Slow Food“ ausdrücklich empfohlen werden), aber sie sind im Norden der Republik dünn gesät.
Aber es gibt eine Region in un- serer Republik, in der es in die-
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18 VolksdorferZeitung Februar 2016