Page 182 - Birgit Nilsson Book
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Nachdem wir uns zur Geheimhaltung verpflichtet hatten, leisteten wir Beihilfe zu dem berühmtesten Streich des Decca-Teams. An der Stelle, an der Brünnhilde ihr Ross Grane auffordert, mit ihr in den brennenden Scheiterhaufen zu springen, sollte ein richtiges Pferd auf die Bühne gebracht werden. Unsere Filmkamera folgte dem edlen Streitross von der Straße nach drinnen und fing den surrealisti- schen Moment ein, als es die Treppenflucht zum Ballsaal hinaufschritt, während elektronische Kameras seine dramatische Ankunft im Studio aufnahmen. Birgit Nilsson, die gerade mächtig in Fahrt war, versagte die Stimme. Und es dauerte fünf Minuten, bis die Phil- harmoniker ihre gewohnte Fassung wiedergefunden hatten. Das Pferd selbst benahm sich tadellos.
Bearbeitung und Montage dieses Mammutprojekts nahm in London noch einmal viele Monate in Anspruch. In diesen Pioniertagen wurden Videobänder noch geklebt anstatt elektronisch kopiert, und jeder “Schnitt” musste nach sorgsamer Prüfung durch das weißbekittelte Schnei- depersonal abgetrennt und mit silbern beschichtetem Klebeband (so sah es jedenfalls aus) wieder zusammengefügt werden. Schließlich war es soweit, dass wir die bearbeiteten Film- und Videosequenzen im TV-Kontrollraum der BBC laufen lassen und dabei die Kommentare einfügen konnten. Wir kamen uns vor, wie sich 1903 die Flugpioniere Gebrüder Wright vorgekommen sein müssen: Unser Multimedia- Experiment, die bis dahin längste Musikdokumentation, die je geschaffen wurde, war endlich sendebereit. Sie wurde seither immer wieder ausgestrahlt — Tribut an den unermüdlichen Georg Solti mit seinem unvergleichlichen Ensemble aus Sängern und Musikern sowie an die Hohepriester der Makellosigkeit, das Decca-Aufnahmeteam des Jahres 1964.
Übersetzung Anne Steeb/Bernd Müller
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