Page 180 - Birgit Nilsson Book
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Immer noch ein wenig besorgt, schlugen sich die Wiener Philharmoniker auf die Seite von Decca. Die Kollegen beim österreichischen Fernsehen ORF stimmten dem Gemeinschaftsunternehmen begeistert zu und setzten Dr. Wilfried Scheib als Projektleiter ein, der auch die Interviews für die deutschsprachige Fassung des Programms durchführte. Die Österreicher stellten die fünfköpfige Kameracrew, die ge- wöhnlich für Sportübertragungen eingesetzt wurde, und wir erlebten acht Tage lang durchgehend die Aufhahmetermine im Decca-Studio mit, das eher unpassend — in Anbetracht der Erhabenheit der Musik — in den Sofiensälen aufgebaut war, dem beliebtesten Ort für Tanzver- anstaltungen in Wien. Die BBC flog eine 16-Millimeter-Filmcrew ein, um zu erfassen, was sich hinter den Kulissen abspielte, das Kommen und Gehen der Sänger und den banalen Alltag auf den Straßen von Wien. Mein Produktionsleiter war ein junger Regisseur namens John Drummond, der sich später als künstlerischer Direktor des Edinburgh Festival und Leiter des Rundfunksenders BBC Radio 3 einen Na- men machen sollte. (Anschließend, im Schneidestadium, war mir ein weiterer junger Regisseur behilflich, der dann in Musik und Film eine bemerkenswerte Karriere machte: Tony Palmer.)
Wir drückten die Daumen, dass alles gutgehen würde, und versprachen Decca, dass von unseren Kameras oder der Beleuchtung keine Nebengeräusche zu erwarten waren. Nur einmal verstießen wir gegen dieses Gebot: Während einer bedeutungsschwangeren Pause zwischen den ansteigenden Tönen zu Anfang von Siegfrieds Trauermarsch wurde ein Objektivaufsatz hastig von Weitwinkel auf Nahaufnahme gedreht, wobei ein dumpfer Laut entstand. “Unmusikalischer Kameramann!”, rief daraufhin der leutselige und er- staunlich tolerante Georg Solti (den britischen Adelstitel bekam er erst später verliehen), und die Aufnahmesequenz wurde abgebro- chen. Dennoch blieb unsere Beziehung vertrauensvoll, und Wunder über Wunder: Decca erlaubte uns, im Kontrollraum dabei zu sein, wo die Spannung vor Beginn der Einzelaufnahmen mich an den Countdown eines Raketenstarts erinnerte. Zu jener Zeit der schlichten zweispurigen Aufnahme, des einfachen Rechts- und Linksstereo, musste alles im Zuge der Aufzeichnung abgemischt werden: Culs- haw hatte etwas von einem Flugkapitän, umgeben von Reglern, Filtern und flackernden Messgeräten, während bewährte Kollegen zu beiden Seiten als musikalische Ausgucke und Steuerleute fungierten und nach dem Aufnahmeplan von Culshaw und Parry die einzelnen Tonkanäle zu- und ausschalteten.
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