Page 192 - Birgit Nilsson Book
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192 LA NILSSON
BIRGIT NILSSONS TRIUMPHALE
RÜCKKEHR NACH NEW YORK
Mitte der 1950er Jahre erreichten New York zunehmend enthusiastische Berichte aus Europa über eine schwedische Sopranistin, deren kraftvolle Stimme, absolute Präzision und solide Technik den größten Anforderungen des Wagner- und Strauss-Repertoires gewachsen waren. Die Rede war von der Ausnahmesängerin Birgit Nilsson. Allerdings musste sie dem damaligen autoritären Direktor der Met, Rudolf Bing, dreimal vorsingen, bevor er sie schließlich für eine Neuinszenierung von Tristan und Isolde engagierte. Doch dieses verspätete Debüt erwies sich als Segen für die Sängerin: Als Birgit Nilsson am 18. Dezember 1959 endlich auf der Bühne der »alten« Met stand, war sie in Höchstform. Ihr Triumph war komplett, und am nächsten Tag waren Berichte über ihr Debüt auf den Titelseiten der New York Times und der New York Herald Tribune zu finden. Die Zeitungen verglichen Nilsson nicht nur mit der legendären Kirsten Flagstad auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, sondern überboten einander auch mit Superlativen für dieses Stimmphänomen. Dass Nilsson das Met-Debüt an den Beginn ihrer Autobiografie stellte und in den Folgejahren jeweils zweieinhalb Monate an diesem Haus gastierte, macht deutlich, welch entscheidende Rolle New York in ihrer Laufbahn spielte.
Zehn Tage nach ihrem legendären Met-Debüt lächelte diesem Kind nordischer Götter erneut das Glück, und Nilsson fand sich wiederum auf der Titelseite der New York Times. Als sowohl der vorgesehene Tenor und als auch die zweite Besetzung erkrankten, überredete Bing die beiden Sänger, in jeweils einem Akt als Nilssons Partner aufzutreten; für den letzten Akt fand er einen dritten Tenor. Seit diesem Ereignis umgab Nilsson eine Aura der Unbesiegbarkeit, und tatsächlich trat sie manchmal unter wahrhaft widrigen Umständen auf: nach einem Autounfall (Siegfried, 1962), mit Gallenkoliken (Aida, 1963), mit verstauchtem Knöchel (Elektra, 1971) oder sogar mit ausgerenkter Schulter (Götterdämmerung, 1974).
Im Februar 1965 feierte Nilsson einen ihrer größten New Yorker Triumphe in einer Neuinszenierung von Strauss’ Salome. Eine neue Elektra schien da selbstverständlich. Die Gelegenheit bot sich, als die Metropolitan Opera zu Beginn der Spielzeit 1966/67 ins Lincoln Center umzog. Die Premiere am 28. Oktober 1966 war ein weiterer Riesenerfolg für Birgit Nilsson in der Titelpartie und ihre langjährige Bühnenpartnerin, die berühmte Wiener Sopranistin Leonie Rysanek (ein weiterer Liebling des Met-Publikums), als Chrysothemis. Ihre legendären Rollenporträts sind beide in der vorliegenden, 1980 entstandenen Filmaufnahme dokumentiert.
Bing bedachte Birgit Nilsson vor seiner Pensionierung mit zwei weiteren Neuproduktionen: Tosca (mit Franco Corelli, 1968/69) und nochmals Tristan (mit Jess Thomas, 1971/72). Bings Nachfolger, der schwedische Regisseur Göran Gentele, zeigte sich seiner
 



























































































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