Page 11 - BiLD am Sonntag (+08.01.2017)
P. 11
10 Debatte BILD am SONNTAG, 8. Januar 2017
Ein Übergriff,
ein Heirats-
antrag und
viel Kopfkino
FORTSETZUNG VON SEITE 8
wenigen Jahren. Angst, bepöbelt,
bespuckt, beraubt oder bedrängt zu
werden. Ob Willkommenskultur
und Gleichberechtigung womög-
lich nicht zueinander passen. Ob
es im Alltag so ist wie in vielen Or-
ten zu Silvester.
★★★
16.44 Uhr, Station Hermannstra-
ße, Ringbahn 42. Auch ich bin heu-
te in Berlin unterwegs, um mir ei-
nen Eindruck von der Gefahr in die- Auch um 23 Uhr und
ser Stadt zu machen. Wenn ich be- bei minus sieben Grad
pöbelt werden wolle, solle ich Ring- ist Berlin-Neukölln
bahn fahren, hat man mir gesagt. sehr belebt. Allein ist
Ich will nicht bepöbelt werden, aber man hier selten
ich bin Reporterin und will wissen,
ob das überhaupt stimmt, was man
so erzählt. Die Bahn füllt sich und
leert sich, aber für Feierabendver-
kehr ist wenig los.
Ein Obdachloser schläft, dane-
ben gönnt sich eine Frau ein Fei-
erabendbier nach der Arbeit. Man
muss das nicht mögen, aber des-
halb fürchten muss man sich auch FOTOS: MEIKO HERRMANN, PARWEZ
nicht. Vielleicht liegt’s an der Käl-
te, vielleicht an den Ferien? Je- Zu viert patrouillieren In Neukölln kommt Erhöhte Polizeipräsenz am Kottbusser Tor in
denfalls steige ich nach 60 Mi- Polizisten rund um den eine BamS-Reporterin Berlin-Kreuzberg. Der Ort gilt als einer der
mit Omar (35) ins
nuten an der Hermannstraße wie- Bahnhof Alexanderplatz Gespräch Drogenumschlagplätze der Hauptstadt, aber auch als Party-Hotspot
der aus, ohne bepöbelt worden
zu sein.
Also auf zur U8, das soll Berlins
berüchtigtste U-Bahnlinie sein. Auf Auf der Ecke zur Flughafenstra- Berlin?“, fragt er in gebrochenem läuft. Natürlich werde ich angeguckt. ner dumm kommt. Jetzt höre ich
dem Weg zum Gleis komme ich an ße betreibt Gizem Tarakci (21) mit Deutsch. Er streckt mir die Hand Aber nicht aggressiv. Ich klopfe an die ganze Palette an arabischen Di-
die Treppe, die im Oktober die jun- ihren Eltern einen kleinen Kiosk. hin, stellt sich als Omar aus Algeri- einen Polizeiwagen. Die beiden Be- alekten, aber kein Deutsch, kein Tür-
ge Frau von dem Bulgaren Svetoslav Der Mann in der Schlange vor mir en vor. Er sei 35, in Paris aufgewach- amten telefonieren und ignorieren kisch. Früher war „Kreuzkölln“, wie
S. bezahlt seine zwölf Bier und sen, wohne jetzt in Deutschland. mich. Ich bin froh, dass ich nur neu- die Berliner die Schnittstelle zwi-
S.
S. (27) runtergetreten worden ist. (27) runtergetreten worden ist. (27) runtergetreten worden ist.
Das
Das Video der Überwachungska-Video der Überwachungska- schwankt zur Tür hinaus. Gizem er- Hier sei es nicht so voll wie in Pa- gierig, nicht in Not bin. schen Kreuzberg und Neukölln nen-
meras ging um die Welt. Es fühlt zählt, dass gerade erst eingebrochen ris, „viel schöner und ruhiger“, sagt ★★★ nen, in weiten Teilen von Türken
sich nicht gut an, diese Treppe run- worden sei; nachts, als der Laden er. Ohne große Umschweife fragt 20 Uhr, Charlottenburg. Ich kom- bewohnt.
terzugehen, instinktiv sehe ich mich zu war. Sie habe hier schon einiges er: „Hast du einen Freund?“ „Ja“, sa- me aus der U-Bahn-Station, eine Ich denke darüber nach, ob Ber-
um. Steht da wer? Kommt da wer? erlebt, Prügeleien unter Stammkun- ge ich. „Wie lange schon?“ „Lange. Gruppe mit fünf jungen Männern lin wirklich anders ist als der Rest
Ich habe das Video gesehen. Die den, eine bekif te Nachbarin, die von en, eine bekif te Nachbarin, die von en, eine bekif Ich bin sogar verheiratet.“ „Das ist kommt mir entgegen. Der Anfüh- der Republik, oder ob ich dieselbe
d d
junge Frau hat lange braune Haare der Polizei abgeholt wurde. schade. Ich suche eine deutsche Frau rer – wieso erkennt man den im- Situation jetzt auch in München,
wie ich. Sie schlug mit dem Gesicht Angst habe sie trotzdem nie, zum Heiraten. Wir sollten heiraten“, mer auf den ersten Blick? – taxiert Frankfurt oder Freiburg erleben
auf, brach sich einen Arm. Die Ver- sie wisse, wie man sich vertei- sagt er und lacht. Für ihn scheint mich. Ich ziehe meine Tasche fes- könnte. Berlin ist anders, bestimmt.
letzungen ihrer Seele kenne ich digt. „Das lernt alles Wichtige geklärt. ter an meinen Körper, schlage die Sicher rauer. Bestimmt gibt es Frau-
nicht. Ich schüttele mich. Schluss man hier früh, Debatte Er geht, will einen Augen nieder. Nur nicht in die Au- en, für die wäre es ein Albtraum,
Kumpel tref en. Oder umpel tref en. Oder umpel tref
jetzt, ich bin Reporterin. Es gehört wenn man wie ich K K gen gucken, das kann provozieren, zwischen zwanzig halbstarken Ara-
hier aufgewachsen am Sonntag
zu meinem Job, an die gefährlichs- die nächste Blondine haben mir die Kollegen mit auf den bern zu stehen. Auch wenn die gar
ten Orte der Welt zu gehen, um un- ist“, sagt Gizem. Diskutieren Sie mit. fragen, ob sie seine Weg gegeben. nichts machen. Mir bringen sie jetzt
abhängig zu berichten. Und jetzt „Angst zu zeigen Was denken Sie? Frau werden will. Ich I I Ich tref e Anna-Kristiina S. (25), ch tref e Anna-Kristiina S. (25), ch tref ein paar neue Worte bei.
scheue ich mich vor einer Treppe? wäre falsch. Man leserforum@bams.de muss schmunzeln. Studentin aus Estland. Sie erzählt: Diese Nacht war harmlos. Es
Ich muss kurz an die Kollegen im darf kein leichtes Hier, im hellen Ein- „Ich wurde schon einmal von ein scheint, als sei es den Aggressio-
warmen Büro denken. Es gab eini- Opfer sein, muss Selbstbewusst- kaufszentrum mit den vielen Leu- paar Typen in der U-Bahn be- nen, die hier manchmal so hochko-
ge Frauen, die diese Reportage nicht sein und Stärke ausstrahlen.“ ten, habe ich Omars höfl iche An-en, habe ich Omars höfl iche An-en, habe ich Omars höfl grapscht, aber ich bin trotzdem chen, zu kalt gewesen. Das Ther-
t t
machen wollten. Manche haben zu- Trotzdem rät sie mir, nachts nicht frage als Kompliment verstanden. abends und nachts unterwegs. Auch mometer zeigt minus sieben Grad.
gegeben, dass sie Angst haben. Au- mit großen Taschen durch den Kiez ★★★ allein. Klar habe ich als Frau öfter ★★★
ßer meinem Kopfkino habe ich heu- zu laufen oder das Handy rumzu- 19 Uhr, „Kotti“. Ich, eine weitere ein unangenehmes Gefühl, aber ich 23.30 Uhr: Den ganzen Abend bin
te noch nichts Beängstigendes er- zeigen. Das mache sie auch nicht. BamS-Reporterin, lebe hier um die versuche, Distanz zu halten. Im Win- ich mit den Bahnen und Bussen
lebt. Man muss sein Glück ja nicht her- Ecke. Und zwar gern und freiwillig. ter geht das besser, da hat man so durch Berlin gefahren. Das Schlimms-
★★★ ausfordern. Seit Jahrzehnten ist das Kottbusser viele Klamotten an, dass es keine te, was ich erlebt habe, waren Be-
17 Uhr, Berlin-Neukölln. Wenn es Ich ziehe weiter, lande irgendwann Tor ein sozialer Brennpunkt. Schlach- Anmache gibt.“ trunkene. Jetzt steige ich in die U9,
um Probleme mit der Integration in den Neukölln-Arkaden. Ich stel- ten zum 1. Mai, Jugendbanden mit ★★★ um nach Hause zu kommen. Drei
geht, fällt der Name immer. Fast je- le mich an eine Brüstung, beobach- Migrationshintergrund, Morde durch 23 Uhr: In der U-Bahnstation Her- Jungs, sie sehen aus wie zwölf,
der Zweite hat hier einen Migrati- te das Treiben. religiöse Fundamentalisten: Der Kot- mannplatz kommen die Bahnen der albern rum. Boxen sich, machen
onshintergrund, jeder Dritte bezieht Ein betrunkener Mann mit Kapu- ti hat schon alles erlebt. Was erlebe U8 im Zehn-Minuten-Takt. Men- Kung-Fu-Tritte. „Ay, du Hure!“
Hartz IV. Monatliches Durchschnitts- ze steuert auf mich zu. Er stolpert ich hier heute Nacht? schen steigen ein, Menschen stei- – „Alta, was? Spast!“ Angst jagt
einkommen der anderen: 1350 Euro. kurz vor mir, ich rieche seinen Atem. Ich schlage den Kragen hoch, zie- gen aus. Ich nicht, ich will ja sehen, m m
mir das keine ein, schön fi nde ich ir das keine ein, schön fi nde ich ir das keine ein, schön fi
Auch ich bin eine der Journalis- Mein Herz hüpft kurz, aber eher aus he mir die Kapuze tiefer ins Gesicht was hier passiert. Und spätestens es aber auch nicht.
tinnen, die für diese Reportage in Ekel als aus Angst. Ich mag nicht und marschiere eine Runde um den nach der dritten Bahn ist klar: Zwan-
Berlin unterwegs sind. Auch ich lau- von ihm berührt werden. Er fängt Platz, der eher eine Kreuzung ist. zig, dreißig junge Männer um die VO N S . B A SA N , M . H E L L WI G ,
fe die Hermannstraße hinunter, al- sich, balanciert sich aus, biegt ab Vier Polizei-Bullis, hier Wannen ge- zwanzig steigen auch nicht ein. Sie N . M E R T E N S , M . SC H Ä F E R ,
lerdings oberirdisch. Es ist klirrend und torkelt davon. nannt, stehen unter der U-Bahnbrü- hängen hier ab. Einer krückt mit C . S C H Ü LE R , P . S P I T Z
k k
kalt. Ich tref e Mütter, die ihre dick alt. Ich tref e Mütter, die ihre dick alt. Ich tref Ein paar Minuten später lehnt sich cke. Ich gucke mich um, ein Grund Gehhilfen über den Bahnsteig. Dann F O T O S M . H E RRMAN N ,
wirft er sie weg und fl itzt umher.ft er sie weg und fl itzt umher.ft er sie weg und fl
wir
eingepackten Kinder in Tragesäcken ein Mann in dunkler Jacke neben dafür ist nicht zu erkennen. Ich se- wir T . KRUSE , C. MICHAE LI S ,
vor der Brust tragen. Fast wie Prenz- mich auf das Holzgeländer. Er sucht he viele dunkle Lockenköpfe, bin Ich lerne gerade Arabisch, auch, P A R WE Z , C . S P R E I T Z
lauer Berg, denke ich. ein Gespräch. „Wohnst du auch in die einzige Frau, die allein hier rum- um mich zu wehren, wenn mir ei-
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer SE, Berlin - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.axelspringer-syndication.de/lizenzierung BILD am Sonntag-2017-01-08-ab-75 7caf727deafae0bd0ad995d5236aa3d4