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Glücksfall Rebsorten
Der Rebsorten-Fächer im Alentejo ist breit ausge- legt. Auf der einen Seite spielen die internationalen Sorten wie Cabernet Sauvignon, Syrah und die im nördlicheren Westeuropa wenig erfolgreiche Petit Verdot eine Rolle. Nirgendwo sonst in Portugal haben diese Immigranten eine so unkomplizierte Integration erfahren. Der Schlüssel zum Erfolg sind indes hei- mische Sorten, die mit ihrem Pro l den Löwenanteil der Rotweinproduktion prägen. Das Anbaugebiet mit seinen malerischen mediterranen Landschaften hat in seinem 28-jährigen Werdegang als regulierte Ap- pellation zwei wichtigen roten Qualitätsträgern eine Bühne bereitet, der Trincadeira sowie der Alicante Bouschet. Hinzu kommt eine weitere Traube, die zwar streng genommen keinen portugiesischen Ursprung aufweist, aber nicht nur im Alentejo, sondern auch am Douro und im Dão hervorragende Ergebnisse erzieht: Die Rede ist von der Aragonez alias Tinta Roriz alias Tempranillo. Vor allem aber haben sich Trincadeira und Alicante als Glücksfälle für das Anbaugebiet erwiesen, da beide an das trockene Klima bestens angepasst sind. Kaum eine Sorte weltweit kommt mit trockenen und warmen Klimata so hervorragend zu recht, wie die Trincadeira, und man muss sich wundern, dass sich diese genügsame Traube bislang nicht zu einem Exportschlager für Weinbauländer mit ähnlichen klimatischen Voraussetzungen entwickelt hat. Allein einige afrikanische Weinmacher schätzten die außergewöhnlichen Vorzüge dieser völlig unter- schätzten Traube. Sie tendiert nicht zur Überreife, behält auch unter hohen Temperaturen eine stabile Säure, zeigt sich im Alkoholgehalt diszipliniert und bringt fruchtbetonte, balsamische Weine hervor. Ein weiteres Phänomen ist die Alicante Bouschet, eigentlich als Deckweinsorte für den französischen Südwesten von Henri Bouschet im 19. Jh. entwi- ckelt. Noch vor eineinhalb Jahrzehnten im Alentejo als Geheimtipp gehandelt, wird sie jetzt von den Produzenten nicht mehr nur für die Erzeugung von raren Spitzenweine eingesetzt, sondern auch in den Gewächsen des preislichen Mittelfeldes. Insbesondere als Cuvée-Partner ist sie für viele Weinmacher nicht mehr wegzudenken. Man kann diese Sorte als Ge- schenk des Alentejo an den übrigen portugiesischen Weinbau betrachten, welches in der Südhälfte des Landes von einer wachsenden Anzahl an Erzeugern anderer Anbaugebiete dankend angenommen wird.
Ihre elegante Konzentration, die sich in den guten Gewächsen zu einem überraschend frischen und dy namischen Kern verdichtet, gepaart mit einer straffen Fleischigkeit machen die Sorte zu einem
wundervollen
Alleinstellungsmerkmal des Anbaugebietes. Pionier
ist das legendäre Erzeugerhaus Herdade do Mouchão,
welches die Alicante Bouschet in ihrem gesamten Portfolio zelebriert und mit ihrem Icon-Gewächs Tonel N° 3-4 einen portugiesischen Rotweincharakter individueller Spitzenklasse geschaffen hat. Inzwischen ist dieses historische Vorzeigegut auf dem deutschen
Markt glücklicherweise besser distribuiert. Experimentelle Vielfalt und rebellische Kreativität prägen das Alentejo von heute. Die Amphore erlebt eine Renaissance, wohlgemerkt nicht als Geburtshel- fer für formlose oxidative Möchtegernbekenntnisse zu falsch verstandener Natürlichkeit, sondern als logische Rückbesinnung auf eine jahrtausendealte Weinkultur. Die Herdade de Rocim bietet neben einem spektakulären Alicante-Bouschet-Gewächs einen vielversprechenden Wein dieser Bauart. Und wer noch an der Dynamik des Alentejo zweifelt, dem sei dringend der Besuch auf der Quinta do Freixo unweit Estremoz nahegelegt. Ein wundervolles Landgut, eine komplett unterirdisch angelegte, bis ins kleinste Detail durchdachte Kellereianlage, wie sie spektakulärer kaum vorstellbar ist, und Weine von bestechender
Präzision und Eleganz.
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