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Geschichte
noch verkauft werden. Der Kapitän ver- blieb noch fast ein Jahr in Buenos Aires, „in einen Prozeß mit den Agenten der betheiligten Versicherungsgesellschaf- ten verwickelt“, wie das Seeamt formu- lierte, bevor er an die Unterweser zurück- kehren konnte.
Dort, in Brake, verhandelte das Seeamt den Fall am 16. März 1883. Es stellte auf- grund der eingehenden „Revision“ der im „Schiffsjournal“, dem Schiffstagebuch, eingetragenen „Längen- und Breitenbe- stimmungen“ mithilfe seiner „sachver- ständigen Mitglieder“ und eines zusätz- lich beigezogenen Sachverständigen, eines Navigationslehrers der Seefahrt- schule Elsfleth, „mit voller Sicherheit“ fest, dass „die Zeitgleichung unrichtig angewendet ist, daß sie nämlich anstatt vom 1. September an von der wahren Zeit subtrahiert zu werden, stets addirt ist“. Und obgleich der Kapitän zunächst gel- tend machte, er habe stets parallel zum Steuermann gerechnet, sich allerdings von diesem immer die Zeitgleichung nebst Vorzeichen geben lassen, erklärte er dann später, er habe die Berechnun- gen des Steuermanns doch nicht regel- mäßig, sondern nur ab und zu und stets allein nachgerechnet. Dabei habe er einen Nautischen Almanach benutzt, der allerdings ein amerikanischer oder englischer gewesen sei, wobei er aber nicht bemerkt habe, dass dieses Jahr- buch „unzuverlässig gewesen“ sei. Dass „ihm eine Beaufsichtigung des Steuer- manns bei der Journalführung gesetz- lich obliege“, wisse er nicht und „kenne dies auch nicht aus seiner Praxis“. Gleich- wohl sah es das Seeamt als erwiesen an, dass der Steuermann die Besteck- rechnung vom 1. bis zum 25. Septem- ber „allein ausgeführt“ und eine etwai- ge Nachrechnung des Kapitäns, wenn sie überhaupt stattgefunden habe, „eine so ungenügende gewesen ist, daß sie als Controlle überall nicht in Betracht kom- men kann“. Denn hätte der Kapitän ord- nungsgemäß nachgerechnet, „hätte der von dem Steuermann begangene Fehler zu Tage treten müssen“.
Und so attestierte das Seeamt dem Kapitän schlussendlich eine „mangel- hafte Erfüllung seiner Obliegenheiten“, nämlich der ihm „nach Artikel 486 des Handelsgesetzbuches obliegenden Ver- pflichtung zur Beaufsichtigung der Jour- nalführung“, die im Zusammenhang mit der „Unterlassung des Lothens“, selbst als am 24. und 25. September von Kapi-
tän, Steuermann und der Besatzung „eine trübe Färbung des Wassers beob- achtet“ wurde, die Strandung des Schif- fes nach sich zog. Dabei folgte das See- amt auch nicht den Ausführungen des Kapitäns zum unterlassenen Loten, er sei angesichts der Trübung des Was- sers deshalb von keiner Gefahr ausge- gangen, „weil vor der Mündung des La Plata-Stromes häufig diese Färbung sehr weit seewärts vorkomme“. Viel- mehr erkannte es auf sowohl schuldhaf- tes Verhalten des Steuermanns wie vor allem des Kapitäns, habe dieser doch
Plakette an Kischs Geburtshaus in Prag
Siegel des ehemaligen Seeamtes Brake
Siegelmarke des Großherzoglichen Seeamtes Rostock
durch mangelnde Dienstaufsicht über den Steuermann sowie mit dem ver- säumten Loten „einen solchen Man- gel an Vorsicht bewiesen, daß die Ent- ziehung seiner Gewerbebefugniß als Schiffer geboten ist“. Auch dem Steu- ermann wurde das Kapitänspatent ent- zogen, habe er doch durch die „fehler- hafte Berechnung des Bestecks“ über drei Wochen und die „Unterlassung des Lothens“ einen deutlichen Man- gel an „Sorgfalt und Umsicht“ gezeigt und dadurch „den Unfall zunächst ver- ursacht“. Vorausgesetzt allerdings, dass ihm zukünftig „die ordnungsgemäße Controle zu theil wird, welche im vor- liegenden Falle fast gänzlich gefehlt hat“, habe er sich aber „nicht als unfä- hig erwiesen (...), die Stellung des Steu- ermanns auszufüllen“ und dürfe mithin weiter als solcher zur See fahren. Peter-Michael Pawlik hat in seiner im Jahre 2003 in Bremen erschienenen „Geschichte der Segelschiffe von Weser und Hunte“ diesen Fall anhand der See- amtsakten ausführlich dokumentiert. Das Schiffahrtsmuseum Unterweser in Brake hat ihn wiederum unter dem Oberbegriff „Kleiner Fehler, große Wirkung“ in gleich- sam begehbare Form gebracht – in sei- ner Abteilung „Seeamtsverhandlung“: Neben Originaldokumenten zeigen hier ein Diorama, ein Kastenmodell, mit dem Wrack des Schiffes in der La-Plata-Mün- dung sowie eine Seekartenprojektion ganz anschaulich, wie es zur Strandung der mar- garetha kam. Ein großformatiger Comic in Linoldruck-Optik mit dem Ablauf des dramatischen Unfalls lässt gerade für die Schulklassen, die das Museum besuchen, die Ereignisse ebenso plastisch werden wie die Hörstation mit dem auch bei Spo- tify und YouTube unter „Deichkultour“ zu verfolgenden Podcast „Die Wesermarsch – von Pandemien über Alkohol bis hin zu Rechenfehlern auf hoher See“. Darü- ber hinaus sind auch die Original-Proto- kollbände des Seeamtes in Brake ausge- stellt, anhand derer man sich noch einmal die Akribie der seeamtlichen Ermittlungen wie die der Härte des „Spruches“ gegen einen Kapitän vergegenwärtigen kann. Der Kapitän der margaretha starb nur zwei Jahre nach der Seeamtsverhand- lung im Alter von 45 Jahren. Die Ursa- che seines frühen Todes ist unbekannt. Die Überreste seines Schiffes am Strand von Mar de Ajo in der Mündung des Rio de la Plata sind bei Niedrigwasser heute noch zu sehen. 7
Leinen los! 1-2/2021 49
Foto: Wikipedia Foto: Schiffahrtsmuseum Unterweser Foto: Wikipedia


































































































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