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Geschichte
und Rostock. Dabei wird die eigentliche Unfalluntersuchung und die Frage fehler- haften Verhaltens von Unfallbeteiligten inklusive einer möglichen Sanktionierung zwei unterschiedlichen Behörden zuge- wiesen: die amtliche Seesicherheitsunter- suchung der Bundesstelle für Seeunfall- untersuchung in Hamburg und die Kon- sequenzen für die beteiligten Personen, z.B. den Patententzug, den Seeämtern. Diese sind besetzt mit einer/einem Vor- sitzenden mit der Befähigung zum Rich- teramt, einem hauptamtlichen Ständigen Beisitzer sowie zwei ehrenamtlichen Bei- sitzern, Kapitänen, Schiffsingenieuren, Lotsen. Das von der/dem Vorsitzenden einberufene Seeamt, im juristischen Sinne kein „Gerichtshof“, wie Kisch schreibt, sondern ausdrücklich eine Ermittlungs- stelle zur Ursachenklärung und Prävention von Seeunfällen, tagt jeweils in dem Was- serstraßen- und Schifffahrtsamt, in wel- chem sich der Unfall ereignet hat oder am zentralen Amtssitz der Seeämter in Kiel. Die Verhandlungen finden in der Regel in mündlicher, öffentlicher Verhandlung nach den Vorgaben des Seesicherheits- Untersuchungs-Gesetzes statt, mit der Befragung von Beteiligten, Zeugen und Sachverständigen, Besichtigung der betei- ligten Schiffe, Auswertung von Schiffstage- büchern, von Radar- und Fernmeldeauf- zeichnungen. Das Ergebnis, der „Spruch“ des Seeamtes, zugleich quasi gutachterli- che Grundlage für eventuell weitere Befas- sung von Behörden und Gerichten, kann dabei von der Einstellung des Verfahrens über die Verhängung eines Fahrverbotes von bis zu 30 Monaten bis hin zur Entzie- hung des Patentes reichen.
Lage des Wracks der Margaretha (Diorama)
Die erste Seeamtsverhandlung in Deutsch- land fand am 16. März 1878 im Großher- zoglichen Seeamt zu Brake statt. Nicht ohne Grund in einer Region, die zu den bedeutendsten Schifffahrts-Landschaften Deutschlands zählt. Ihre Blütezeit erlebten die oldenburgischen Weserhäfen vor allem im 19. Jahrhundert, als zeitweise 175 Schiffe unter der blau-roten Flagge des Großher- zogtums Oldenburg auf den Weltmeeren unterwegs waren.
Das galt auch für die hölzerne Bark mar- garetha, die am 12. Juli 1873 mit 572 ts in Elsfleth vom Stapel gelaufen und nun, im September 1880, mit einer Ladung Stück- gut auf der Fahrt von New York nach Punta Arenas in Chile war. Südlich der Mündung des Rio de la Plata lief sie am 25. Septem-
ber um „9 1⁄2 Uhr abends“ vor der argen- tinischen Küste auf Grund und musste aufgegeben werden. Der Steuermann, Inhaber des Befähigungszeugnisses zum Schiffer auf großer Fahrt, hatte sich verna- vigiert. Er war für die letzten 25 Tage der Reise bis zum Schiffbruch in seinen astro- navigatorischen Berechnungen einem geradezu systematischen Fehler aufge- sessen, einer vom 1. September bis zum Tage der Strandung am 25. durchgängig falsch angetragenen sogenannten „Zeit- gleichung“, der dem Nautischen Jahr- buch täglich zu entnehmenden Diffe- renz zwischen dem wahren und dem auf- grund der schwankenden Bahngeschwin- digkeit der Erde mittleren, gemittelten, Ort. Das führte dazu, dass zum Zeitpunkt der Strandung die wahre Position des Schiffes um 4° 13‘ westlicher und land- wärtiger lag, als die an Bord angenom- mene. Der Kapitän hatte diese Berech- nungen offensichtlich nicht kontrolliert, und selbst als das Wasser trübe wurde, wurde versäumt, zu loten. Bis es knirschte und die Bark festsaß, leck schlug und die Besatzung „gegen 3 1/2 Uhr morgens“ schließlich per Boot das Schiff verließ, das dann durch Brandung und Wind zer- schlagen wurde.
Zwar konnten noch zwei Drittel der Ladung geborgen werden, zuvor war jedoch schon einiges an Wertvollem durch Strandräuber entwendet wor- den – Proviant, der Chronometer, zwei Kompasse, Segel und Bekleidung der Mannschaft. Zumindest große Teile des Schiffsholzes konnten in der Folgezeit
Wrack der deutschland in der Themsemündung 48 Leinen los! 1-2/2021
Foto: Wikipedia
Foto:: Schiffahrtsmuseum Unterweser


































































































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