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Geschichte
Schade um den Mann! Verhandlungen vor dem Seeamt
Frank Ganseuer/Linda Thorlton
Egon Erwin Kisch, dem rasenden Reporter und Leichtmatrosen, haben wir in Leinen los! 11/2020 eine längere Geschichte gewidmet. Kisch ist an vielen maritimen Orten gewesen und hat davon in seiner ganz eigenen Art, kritisch, farbig und stets dem Sensationellen auf der Spur, berichtet – an Bord und an Land, so wie hier, aus einer Seeamtsverhandlung in Hamburg im Jahre 1924:
Lange braucht er, bis er das Seeamt fin- det. Ein Hamburger Journalistenkol- lege, den er fragt, wo denn das Seeamt in
Hamburg liege, hatte ihn, wie schon zuvor der Portier seines Hotels, erst einmal zur Seewarte geschickt, dem Vorläufer des Deutschen Hydrographischen Instituts. Von da hatte man ihn aber sogleich auf den gegenüberliegenden Hügel verwie- sen, ins Seemannsheim. Dort wusste nun ein Matrose, dass die Verhandlungen des Seeamtes im Seemannsamt stattfinden, nämlich da, wo die amtlichen Bekannt- machungen für Seefahrer aushängen, mit allerlei nützlichen Hinweisen auf See- wetter, geborgenes Strandgut oder die Kennzeichnung von Wracks. Also heißt es für Kisch: auf in die Admiralitätsstraße – und tatsächlich tagt dort das Seeamt. „Ich trete ein, zum Erstaunen des Gerichts- hofes, das sich zu Verdachtsmomenten erhöht, als ich anfange, mir Notizen zu machen. Aber die Verhandlungen sind öffentlich.“
Daraus wird die Reportage „Tote Ma- trosen stehen vor Gericht“. Erster Fall: der Tod eines 23-jährigen Matrosen, der beim Einschleppen seines Dampfers in den Hafen von Bremen, der scheer der Hugo Stinnes A.G., von Ostasien kom- mend, vom Anker des eigenen Schif- fes erschlagen wird. Als sich nämlich die Schlepptrosse in eben jenem Backbord- Anker verfing, kletterte der Matrose kurz- entschlossen auf denselben und setzte sich rittlings darauf, um die Trosse zu kla- rieren. „Dadurch“, so notiert es sich der rasende Reporter, „daß Bewegung in den Patentanker kam, schlugen die Flü- gel herum, und einer drückte den Kopf des Matrosen so heftig gegen die Bord- wand, daß der Mann einen Blutsturz erlitt. Wenige Minuten später war er tot.“ Zeugen werden vernommen, zuerst der
Amtsgericht mit Seeamt in Brake auf Postkarte (Mitte)
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Ehemaliges Seeamt Bremerhaven
Foto: Wikipedia Zeichnung: Schiffahrtsmuseum Unterweser


































































































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