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MARITIME SICHERHEITSPOLITIK
Neue maritime Strategie der EU
Henrik Schilling*
Europa muss die Sprache der Macht lernen.“ So leitet Josep Bor- rell, Außenbeauftragter der Europäischen Union, die neueste Sicherheits- und Verteidigungsstrategie ein. Bedeutend an dieser
Aussage ist nicht nur die Tatsache, dass die Strategie gerade einmal einen Monat nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine veröffentlicht wurde, sondern auch ihre Deutlichkeit. Das Grundla- gendokument, der Vertrag von Lissabon (2009), klingt noch deutlich harmloser. Während damals noch der Fokus auf der Sicherheit der Union und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner sowie der Stärkung von Partnernationen und Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Frieden lag, war es bereits Borrells Vorgängerin im Amt Federica Mogherini, die 2016 schrieb, die EU sei zwar Profi in Sachen „Soft Power“, müsse sich aber an neue sicherheitspolitische Herausfor- derungen entsprechend anpassen. Dabei beschreibt „Soft Power“ nichtmilitärische Machtmittel wie Diplomatie, Entwicklungshilfe usw. Die Union wird, zumindest auf dem Papier, immer selbstbewuss- ter auf dem Weg zum autonomen sicherheitspolitischen Akteur. Das zeigt sich beispielsweise an den sicherheitspolitischen Reak- tionen auf den russischen Einmarsch Ende Februar. Innerhalb kür- zester Zeit standen dutzende Marineeinheiten europäischer Staa- ten sowohl in der Ostsee als auch im Mittelmeer, die Militärpräsenz an europäischen Außengrenzen wurde verstärkt und die Maßnah- men der Luftraumüberwachung wurden ausgeweitet.
Dass es auch im maritimen Raum einer strategischen Ausrichtung benötigt, wurde der EU allerdings nicht erst durch die Ereignisse die- ses Jahres bewusst. Schon 2014, also noch vor der Globalen Strate- gie, die zwei Jahre später veröffentlicht wurde, definierte die Union ihre maritimen Sicherheitsinteressen, analysiert Bedrohungen im maritimen Raum und schlägt einen weitreichenden Maßnahmen- katalog vor. Vier Jahre später aktualisiert die EU den dazugehöri- gen Aktionsplan und filtert die sicherheitspolitischen Maßnahmen unter anderem nach geographischer Relevanz. Damit setzt sie sich nicht nur selber deutliche Ziele, sondern richtet auch klare Erwar- tungen an Drittländer.
Momentan entsteht erneut ein revidierter Action Plan der mariti- men Strategie (EUMSS). Doch was steht eigentlich bereits in den Strategiepapieren und was sollte neu hinzukommen?
Die EU fußt ihre maritime Strategie auf drei Säulen. Diese gliedern sich in die Bewältigung externer Konflikte und Krisen, die Befähi- gung dritter Staaten z.B. im Seegrenzschutz sowie den Schutz der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Auf Grundlage dieser Schwerpunkte stellt der neue Action Plan konkrete Aktionen vor, die das strategi- sche Handeln der Union im maritimen Rahmen leiten sollen. Diese beinhalten sowohl Politik- und Recht-schaffende als auch operative Maßnahmen für die jeweiligen maritimen Akteure der EU auf zivi- ler, polizeilicher und militärischer Ebene. Im Vordergrund stehen dabei die innereuropäische Kooperation und die Angleichung von Fähigkeiten sowie der Aufbau von einheitlichen Strukturen. Zu die- sem Zwecke sollen beispielsweise gemeinsame Marineübungen
durchgeführt werden. Gleichzeitig soll weiterhin die Kooperation mit Partnern wie der Nato gestärkt werden, weshalb auch Groß- übungen wie Baltops für die EU eine entscheidende Rolle spielen. Darüber hinaus möchte die EU größeren Wert auf die technologi- sche Entwicklung legen, um innereuropäisch aber auch internati- onal gewappnet zu sein, um auf Konflikte und organisierte Krimi- nalität reagieren sowie maritime Forschung optimieren zu können. Ebenso nutzt die EU Erfahrungen aus Sophia und Irini, um eine effektivere Bekämpfung von Fluchtursachen sowie eine bessere Koordinierung der Einsätze im Mittelmeerraum und optimierten Grenzschutz zu erreichen. Ein weiteres Indiz, dass es die EU durch- aus schafft, sich an wandelnde Herausforderungen anzupassen, ist der verstärkte Fokus auf die Umwelt, der nicht nur die Beseitigung von Munition, sondern auch internationale Kooperation und inno- vative Forschung in dem Gebiet beinhaltet.
Durch die stets dynamische Entwicklung der sicherheitspolitischen Herausforderungen sieht sich die EU gezwungen, ihre strategischen Ziele weiter anzupassen. Mit seinen Aussagen zum Strategischen Kompass hat Josep Borrell bereits die Richtung der maritimen Stra- tegie vorgegeben. Diese sollte sich weiter an der innovativen Ent- wicklung der EU als globaler Sicherheitsakteur orientieren. Das bedeutet nicht nur, dass die technologischen Fähigkeiten ausge- baut werden, sondern auch, dass Prozesse unter den Mitgliedstaa- ten weiter vereinheitlicht werden, die europäischen Marinen noch enger zusammenarbeiten und die EU in der Lage ist, auf opera- tiver Ebene global agieren zu können. Dazu muss sich die EU im Klaren sein, welche Rolle sie spielen möchte oder kann – und wie robust diese ausfällt.
Die Zeiten als rein regionaler Akteur sind vorbei, dazu sind inter- nationale Seewege zu essenziell für das Bestehen der Union. Die einzelnen Mitgliedstaaten zeigen mit internationalen Entsendun- gen von Marineeinheiten, wie die Entsendung der Fregatte bAy- Ern in den Indo-Pazifik, bereits erfolgreich, wo es hingehen kann. Für die EU gilt es nun, diese nationalen Ansätze zu bündeln, um auf ein breites Spektrum an Fähigkeiten zurückzugreifen und die Position als ernstzunehmender globaler sicherheitspolitischer Akteur zu festigen.
Gerade die momentanen Zeiten lehren, dass unsere demokrati- schen Werte längst keine Selbstverständlichkeit sind und dass es sie um jeden Umstand zu verteidigen gilt. Der Strategische Kom- pass zeigt, dass sich die EU dessen bewusst ist und gibt Anlass zur Hoffnung, dass mit der Revision des Action Plans nun auch im maritimen Raum die besten Voraussetzungen dafür geschaf- fen werden. 7
* Henrik Schilling studiert an der Christian-Albrechts-Univer- sität zu Kiel und ist als Wissenschaftliche Hilfskraft am Center for Maritime Strategy & Security des Instituts für Sicherheits- politik an der Universität Kiel (ISPK) tätig.
Leinen los! 9/2022 39


































































































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