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Geschichte
dann auf das Schiff, die sAxon, zu, auf der man sie gesehen hat und Rettungs- boote klar macht. „Als ich an Bord gezo- gen wurde, hatten alle Amis Fotoappa- rate vor dem Bauch“, so Dummer, „aber als sie uns dann aus der Nähe sahen, hat keiner fotografiert.“
In Boot 2, das zu Anfang noch mit 21 Mann besetzt war, dann immer wie- der umschlägt, dabei die Lufttanks ver- liert und schließlich bis zu den Sitzbän- ken im Wasser liegt, sind nach Günter Haselbachs Bericht am Morgen des 24. September, dem Tag seiner Rettung, noch acht Mann. „Im Laufe des Tages ging dann einer nach dem anderen über die Seite.“ Schließlich ist Haselbach allein im Boot, rittlings auf der Reling, bevor er um 13.41 Ortszeit vom US-Coast- Guard-Schiff AbsEcon entdeckt und gerettet wird. Sein letzter Kamerad im Boot schwamm noch, so berichtete es der Überlebende, zwei Stunden vor der Rettung davon.
Das Seeamt Lübeck erkannte schließ- lich in seinem Spruch vom 21. Januar 1958 auf Vermeidbarkeit des Unter- gangs, vor allem aufgrund nicht ange- messener Segelführung und unge- nügendem Beladungszustand durch die überwiegend lose gestaute und schließlich „übergehende“, verrut- schende Gerste sowie die nicht über- all verschlossenen Aufbauten an Back- bordseite, in die Wasser eindrang – Fak- toren, die insgesamt zum Kentern des Schiffes führten. Kapitän und Erster Offi- zier seien zudem nicht hinreichend mit der Führung eines derart großen Fracht- seglers vertraut gewesen und unge- klärt sei, ob die seit Tagen gesendeten Warnmeldungen zu Carrie überhaupt an Bord bekannt geworden waren. In der Rückschau hätte durch eine am 19. September erfolgte Kursänderung nach Süd oder Ost die Begegnung mit dem Orkan vermieden werden können. Für die Reederei Zerssen & Co. aus Kiel und die Stiftung PAmir und PAssAt plä- dierte deren Rechtsanwalt Horst Will- ner hingegen auf das Wirken „höherer Gewalt“ und der Flucht des Schiffes vor einem „zerstörerischen“, unberechen- baren Ausnahme-Orkan mit „abarti- ger“ Bahn, der das Schiff „teuflisch“ ver- folgte und schließlich zu Leckagen an dem bereits durch Schweißarbeiten aus- gebesserten Schiffsrumpf führte. Das Seeamt wiederum hatte „keine Anhalts- punkte“ dafür gesehen, dass Schäden
Die Schwimmwesten hielten den Kopf nicht über Wasser
am Schiffskörper beim Untergang „mit- gewirkt“ hätten.
2006 schließlich entdeckt der Bremer Schriftsteller Johannes K. Soyener in der Staatsbibliothek Bremen 13 Archivkar- tons mit Akten der Stiftung PAmir und PAssAt, anhand derer er in einem Buch („Sturmlegende“) Details zum finanzbe- dingt schlechten materiellen Zustand des Schiffes, zu Lecks in Aufbauten, Korrosion in Laderäumen und zur pre- kären Personallage an Bord veröffent- licht. Da der Funkoffizier aus Kostener- sparnisgründen zusätzlich die Aufga- ben des Zahlmeisters und Verwalters an Bord wahrzunehmen hatte, erhärte dies, so Soyener, die Vermutung, dass die PAmir die zahlreichen und regel- mäßigen Warnungen vor Carrie trotz „erstklassiger Funkausrüstung“ (See- amt), und weil man wohl auf die regel- mäßige Aufnahme von Wetterberich- ten verzichtet habe, nicht empfangen habe. So sei das Schiff schließlich vom Orkan überrascht worden. Daher auch die trotz des Sturmes erhebliche Segel- führung, der mangelhafte Verschluss-
Rettungsboot Nr. 2 in der Lübecker Kirche St. Jakobi
zustand und eine Wache, die noch am Morgen des Unglücks um 08.00 Uhr bei Windstärke 10 ohne Ölzeug heraustritt – allesamt Indizien, doch auch sie blei- ben, mit Dummers Worten, „Hypothe- sen“, da niemand aus der Schiffsführung den Untergang überlebte.
Nur Relikte des Dramas haben sich bis heute erhalten, wie Rettungsboot 2 in der Lübecker Kirche St. Jakobi mit ihrer „Internationalen Gedenkstätte der zivi- len Schifffahrt“, Boot 6 im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven und mehrere Teile der PAmir im Schiff-
Bordwand des Rettungsbootes Nr. 5 und ein Rettungsring der PAmir
fahrtsmuseum Unterweser in Brake, ein Stück der Bordwand von Boot 5, eine Deckstür, ein Rettungsring und zwei Schwimmwesten – einfache Kork- schwimmwesten, die schon längst nicht mehr dem Stand der Technik entspra- chen, den Kopf nicht über Wasser hiel- ten und auch, mit Bändseln zugebun- den, den Körper nicht hielten, gemäß Seeberufsgenossenschaft aber noch „aufgebraucht“ werden durften.
Um die Untergangsstelle werden von Flugzeugen und Schiffen noch Holzteile und aneinandergebundene Schwimm- westen gefunden, in zwei Westen „Spu- ren von menschlichen Körpern.“ – „Viele Haie wurden gesichtet“, formulierte das Seeamt dazu – Teil jener gewaltigen Tra- gödie auf See, die, unter großer Anteil- nahme der deutschen und internationalen Öffentlichkeit, 80 Besatzungsangehörige der PAmir, darunter viele junge Kadetten, in die Tiefe riss und mit der noch im glei- chen Jahr erfolgten Außerdienststellung der PAssAt, die im November 1957 auf glei- cher Route bei im Sturm „übergehender“ Gerstenladung nur knapp einer ähnlichen Katastrophe entkommen war, die Epoche der frachtfahrenden Segelschulschiffe so jäh beendete. 7
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